Paradies
Autobahn A1 gestellt und sind Richtung Norden, Richtung Heimat getrampt. Wir mussten eine Ewigkeit warten, und es war furchtbar heiß. Wir wären fast an einer Kohlenmonoxidvergiftung gestorben. Schließlich nahm uns ein kleiner, dicker Mann in einem roten Wagen mit. Er hatte einen ähnlich schlimmen Kater wie Eleonor und verstand kein Wort in irgendeiner uns bekannten Sprache. An der ersten Area Servizio, die auf unserem Weg lag, fuhr er ab, bedeutete uns mitzukommen und marschierte in die Bar. Er bestellte drei Gläser von etwas Rotem, Zähflüssigem, sagte Hua und kippte sich den Inhalt des Glases in einem Zug hinter die Binde. Nachdem er das Glas auf die Theke geknallt hatte, schaute er uns auffordernd an, fuchtelte mit den Händen und sagte: Prego, prego. Wir hatten höllische Angst, dass er uns aus dem Wagen werfen würde, also kippten wir die Brühe in uns hinein und fuhren weiter. An jeder Area Servizio passierte das Gleiche. Drei Gläser, hua, und auf den Tisch geknallt. Schon bald sangen wir Lieder im Auto. Es wurde sehr dunkel. Am späten Abend erreichten wir eine fantastische Stadt, hoch oben auf einem Berg. Perugia, sagte der Mann und quartierte uns bei seinem Freund, dem Bäcker, ein. Wir bekamen ein Zimmer direkt über dem Geschäft, mit schrägen Decken, Tapeten mit Rosenmuster. Dort liebten wir uns. Es war das erste Mal für mich.«
Er verstummte, die Erinnerungen hingen im Raum. Annika schluckte, fühlte gleichzeitig Nähe und Abstand, durchwoben von Schmerz und Sehnsucht.
»Letztes Frühjahr haben wir eine Reise zu Weingütern in der Toscana gemacht«, fuhr er fort. »An einem Tag unternahmen wir einen Abstecher nach Umbrien. Es war schon ein komisches Gefühl, wieder nach Perugia zu kommen, die Stadt ist immer etwas ganz Besonderes für uns gewesen. Dort wurden wir ein Paar. Seitdem sind wir keinen Tag voneinander getrennt gewesen.«
Wieder verstummte er.
»Was ist passiert?«, fragte Annika.
»Wir haben nichts mehr wieder erkannt. Unser Perugia war ein stilles, mittelalterliches Dorf, eine gezeichnete Kulisse auf einem Berggipfel. Das wirkliche Perugia war eine großzügige, vitale und laute Universitätsstadt. In meinen Augen war es fantastisch. Perugia war wie unsere Beziehung, etwas, das als ein Teenagertraum begonnen und sich dann zu einer großzügigen, vitalen und intellektuellen Gemeinschaft entwickelt hat. Ich wollte bleiben, aber Eleonor war entsetzt. Sie hatte das Gefühl, verraten und betrogen worden zu sein. Sie fand in Perugia keine vitale Ehe, sie verlor ihren Traum.«
Sie schwiegen eine Weile.
»Warum habt ihr die Stadt nicht wieder erkannt?«
Er seufzte.
»Vermutlich, weil wir vorher noch nie da gewesen sind. Der Mann in dem roten Auto war so betrunken, dass er sich durchaus in der Stadt geirrt haben könnte, oder aber wir haben ihn falsch verstanden. Wir können genauso gut in irgendeiner anderen umbrischen Stadt gewesen sein. Assisi, Terni, Spoleto…«
Sie sah ihn mit seinen Erinnerungen kämpfen. Er saß vorgebeugt, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, das widerspenstige, glänzende Haar steif vom Blut, und musste den Impuls unterdrücken, es zur Seite zu streichen. Wie schön er war.
»Hast du Hunger?«, fragte sie stattdessen.
Er sah sie an und schien für eine Sekunde verwirrt zu sein.
»Um ehrlich zu sein, ja«, antwortete er.
»Ich bin berühmt für meine Bandnudeln mit Tomatensauce aus der Dose«, sagte sie. »Isst du so etwas?«
Er nickte tolerant, ja sicher, kein Problem.
Sie ging in die Küche und warf einen Blick zum Fenster hinaus.
Jemand saß in der Gästewohnung gegenüber auf der Toilette. Sie holte Tagliatelle und eine Dose italienische Tomatensauce aus dem Schrank und setzte Wasser auf. Er stellte sich in die Türöffnung und lehnte sich gegen den Türrahmen.
»Immer noch groggy?«, erkundigte sie sich.
»Das kommt bestimmt vom Wein«, antwortete er. »Eine tolle Küche, Gasherd.«
»Original von 1935«, sagte sie.
»Wo ist die Toilette?«
»Eine Treppe tiefer. Zieh lieber Schuhe an, der Boden ist furchtbar schmutzig.«
Sie deckte den Tisch und überlegte, ob sie Servietten auf die Teller legen sollte, hielt dann aber inne und analysierte ihren eigenen Gedanken. Servietten? Wann zum Teufel hatte sie zuletzt Servietten benutzt? Warum sollte sie es also jetzt tun? Um Eindruck zu machen und sich als jemand zu präsentieren, der sie gar nicht war?
Sie schüttete die Nudeln in ein Sieb, als er zurückkam, hörte, wie er sich die Schuhe
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