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Paradies

Paradies

Titel: Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
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natürlich trotzdem immer, die Mutter ist eben doch der Mensch, der einem am nächsten steht.«
    »Großmutter stand mir am nächsten«, flüsterte Annika, und Tränen liefen ihr über die Wange. Sie unternahm nichts dagegen, sondern ließ sie laufen, ließ den Schmerz an sich herankommen.
    Ihre Mutter blickte zu ihr auf. Ihr schwarzer Blick war weit weg.
    »Das ist doch wieder einmal typisch, dass das ausgerechnet jetzt von dir kommen musste«, sagte sie.
    Sie verließ die Tote und ging mit rot unterlaufenen Augen zu Annika. Ihr Mund war ein schmaler Strich.
    »Mama hat dir immer den Rücken freigehalten«, flüsterte Barbro, »aber das kann sie jetzt nicht mehr tun.«
    Annika schloss die Augen und spürte, dass ihre Mutter an sie herantrat.
    »All die Jahre hat sie dich Birgitta vorgezogen, und du hast nur an dich gedacht. Kannst du dir vorstellen, wie deine kleine Schwester sich gefühlt hat? Was?«
    Annika verbarg ihr Gesicht in den Händen.
    »Birgitta hatte doch dich«, erwiderte sie.
    »Und du nicht, meinst du? Hast du jemals darüber nachgedacht, woran das gelegen haben könnte? Vielleicht hatte es ja mit dir als Person zu tun! Sieh mich an!«
    Annika sah auf und blinzelte, ihre Mutter stand vor ihr, über ihr. Ihr Blick war düster, ihr Gesicht vor Schmerz und Verachtung verzerrt.
    »Du hast den anderen immer alles kaputtgemacht«, flüsterte Barbro. »Du bist ein Unglücksrabe, bei dir stimmt was nicht. Seit deiner Geburt hast du um dich herum nur Elend verbreitet.«
    Annika stöhnte auf und wich auf der Liege zurück.
    »Aber, Mama«, sagte sie, »du weißt ja nicht, was du da sagst.«
    Ihre Mutter beugte sich vor.
    »Wir wären eine glückliche Familie gewesen«, sagte sie, »wenn es dich nicht gegeben hätte.«
    Die Tür wurde geöffnet, und die Ärztin trat ein und schaltete das Neonlicht an.
    »Oh, Entschuldigung«, meinte sie, »sollen wir noch einmal rausgehen?«
    Die Mutter richtete sich auf, ihre Augen starrten in Annikas.
    »Aber nein«, erwiderte sie, »das ist nicht nötig. Ich wollte gerade gehen.«
    Sie nahm ihre Handtasche und ihren Pelz, streckte die Hand aus und dankte der Ärztin, murmelte etwas, warf einen letzten Blick auf die Tote und verließ das Zimmer.
    Annika blieb mit offenem Mund sitzen. Die Tränen hingen wie ein Vorhang in ihrem Gesicht, sie war am Boden zerstört. Hatte sie richtig gehört? Hatte ihre Mutter wirklich diese Worte ausgesprochen, die niemals ausgesprochenen, die ständig unterschwellig mitschwingenden Worte, die verbotenen Schlüssel, die ihre Kindheit aufschlossen und definierten?
    »Wie geht es Ihnen?«, erkundigte sich die Ärztin und setzte sich neben Annika auf die Liege.
    Annika senkte den Kopf und schnappte nach Luft.
    »Ich werde Sie bis zum Ende des Monats krankschreiben«, sagte die Ärztin. »Ich werde Ihnen auch ein Rezept ausstellen, fünfundzwanzig Stück Sobril zu 15 Milligramm. Es ist praktisch unmöglich, eine Überdosis zu nehmen, aber Sie dürfen die Tabletten nicht zusammen mit Alkohol einnehmen, dann werden sie gefährlich.«
    Annika schlug die Hände vor das Gesicht und versuchte, das Zittern ihres Körpers zu unterdrücken. Die Ärztin blieb noch einen Moment schweigend bei ihr sitzen.
    »Stand Ihre Großmutter Ihnen nahe?«, fragte sie dann.
    Annika nickte.
    »Sie haben einen furchtbaren Schock erlitten«, sagte die Ärztin, »besser gesagt, zwei. Sie haben Ihre Großmutter ja auch zu Hause gefunden, nicht wahr?«
    Sie nickte wieder.
    »Es gibt Phasen, die alle Angehörigen in stärkerer oder schwächerer Form durchmachen«, meinte die Ärztin. »Als Erstes kommt der Schock, das ist Ihr momentaner Zustand, anschließend kann eine Phase der Aggressivität folgen, danach Verneinung des Geschehenen und schließlich das Akzeptieren des Todes. Sie müssen jetzt nett zu sich sein. Eventuell kommt eine Periode mit stärkeren Angstzuständen auf Sie zu, und Sie könnten auch mit Verdauungs- oder Schlafstörungen zu kämpfen haben. Das ist normal, es geht wieder vorbei. Aber wenn es Ihnen zu schlecht geht, müssen Sie sich helfen lassen. Nehmen Sie die Tabletten, wenn es zu schwer wird. Sie können jederzeit hier im Krankenhaus anrufen, wenn Sie mit jemandem reden wollen. Sie können auch einen Gesprächstermin bei einem Therapeuten bekommen, wenn Sie das möchten.«
    Annika schüttelte den Kopf.
    »Ich will keinen Therapeuten«, sagte sie.
    Die Ärztin strich ihr über den Rücken.
    »Sagen Sie Bescheid, wenn etwas ist. Wir werden Sofia Katarina

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