Paradies
gewesen.«
Der Oberst stand auf, ging ins Badezimmer hinaus und kam mit einer Rolle Toilettenpapier wieder zurück.
»Danke«, sagte Annika, nahm die Rolle entgegen und schnauzte sich.
Der Mann sah sie prüfend und eindringlich, aber nicht abweisend an.
»Warum tragen Sie Aidas Kette?«
Annika trocknete mit dem Toilettenpapier die Tränen unter den Augen ab.
»Ich habe mich wenige Tage vor ihrem Tod mit ihr getroffen«, antwortete Annika. »Sie war krank und hatte große Angst. Ich bin Journalistin. Aida rief bei der Zeitung an, für die ich arbeite, sie bat um Hilfe, und ich habe versucht, ihr zu helfen…«
»Wie?«
Annika holte tief Luft und atmete dann lautlos aus.
»Sie war so allein. Es gab niemanden, der ihr helfen konnte. Sie wurde von einem Mann verfolgt und hatte Todesangst. Ich habe mich mit ihr getroffen, weil sie Informationen zu zwei Morden hatte, die hier begangen wurden. Dann konnte ich sie nicht einfach wieder verlassen, sie war doch so krank, also habe ich ihr die Telefonnummer einer Organisation gegeben, die
Paradies
heißt…
weil ich geglaubt habe, dass man ihr dort helfen können würde.«
Sie warf dem Mann einen verstohlenen Blick zu. Er lauschte aufmerksam, reagierte aber nicht, als sie den Namen der Stiftung nannte.
»Die Frau, die hinter dieser Organisation stand, hat sich inzwischen als eine Betrügerin herausgestellt«, fuhr Annika fort. »Ich habe mich sehr schuldig gefühlt, weil ich Aida dazu überredet habe, Kontakt zu ihrer Organisation aufzunehmen.«
Sie senkte den Kopf und wartete auf einen Wutanfall, der jedoch ausblieb.
»Es ist eine gute Sache«, sagte er, »einem Kameraden zu helfen.
Aida muss Ihren Versuch zu schätzen gewusst haben, sonst hätte Sie Ihnen nicht die Kette geschenkt.«
»Es tut mir so Leid«, flüsterte sie.
Der alte Oberst stand auf, trat ans Fenster und schaute auf den Sergels Torg hinab.
»Hier ist sie gestorben«, murmelte er. »Hier ist Aida gestorben.«
Die Stille wurde bedrückend. Sie spürte die Verzweiflung des Mannes, sah seine Schultern zucken. Sie blieb unsicher und mit kalten und unbeholfenen Händen sitzen. Schließlich riss sie etwas Toilettenpapier ab, stand auf und trat vorsichtig zu dem Mann.
Die Tränen liefen ihm über die Wangen und blieben in seinen Bartstoppeln hängen. Er machte keine Anstalten, das Toilettenpapier zu nehmen.
»Verzeihen Sie«, sagte Annika leise. »Ich habe wirklich geglaubt, ich würde ihr helfen.«
Der Mann warf ihr einen kurzen Blick zu und starrte anschließend wieder auf den Platz hinaus.
»Warum fühlen Sie sich schuldig?«, fragte er.
»Die Frau, die hinter der Organisation steckte, ich fürchte, dass sie…«
Der Mann drehte sich hastig um, ging zum Kühlschrank, holte eine Flasche Slibowitz heraus und schenkte sich ein.
»Aida hat ihren Tod selbst gewählt«, sagte er und streckte Annika die Flasche entgegen. Sie schüttelte den Kopf. Er setzte den Korken wieder auf die Flasche und stellte sie zurück. Dann wankte er zum Bett und ließ sich so schwer darauffallen, dass die Bettfedern knackten.
»Wer war Aida eigentlich?«, fragte Annika. »Woher kannten Sie sie?«
»Ich bin in Bijeljina geboren«, antwortete der alte Mann, »genau wie Aida.«
Annika setzte sich ihm gegenüber.
»Kennen Sie Bijeljina?«
Sie versuchte zu lächeln.
»Nein, aber ich habe Bilder aus Bosnien gesehen. Es ist sehr schön dort, die Berge und die Palmen…«
»So etwas gibt es in Bijeljina nicht«, unterbrach sie der Oberst.
»Die Stadt liegt in einer Ebene, nordöstlich von Tuzla, die Winter sind streng, im Frühjahr regnet es nur.«
Sein Blick war auf einen unbestimmten Punkt über ihrem Kopf gerichtet.
»Nicht einmal der Fluss, der in der Nähe vorbeifließt, ist besonders schön.«
Er seufzte und schaute Annika an.
»Den Fluss haben Sie sicher schon einmal auf einem Bild gesehen, es ist die Drina, die entlang der serbischen Grenze fließt, obwohl die berühmten Bilder ein Stück weiter flussabwärts aufgenommen worden sind, in der Nähe von Gorazde.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Die Leichenberge«, sagte er, »die Körper, die in den Fluss Drina geworfen wurden und auf der Höhe von Gorazde hängen blieben.
Ein dänischer Fotograf ist durch unsere Linien geschlüpft und hat sie fotografiert. Die Bilder sind um die ganze Welt gegangen.«
Annika schluckte, doch, jetzt erinnerte sie sich wieder, sie hatte einen Roman darüber gelesen, und das
Abendblatt
hatte die schwedischen Rechte an den
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