Paradies
sechsundzwanzig Minuten bevor die Zeitung in Druck ging, herrschte in der Redaktion wie gewöhnlich ein konzentriertes und kreatives Chaos. Die Redakteure hackten mit rot unterlaufenen Augen die letzten Überschriften in den Computer, gaben Formulierungen in Aufmachern und Bildtexten den letzten Schliff und berichtigten Satzfehler. Jansson, der Nachtchef, war damit beschäftigt, Umbrüche zu prüfen und Seiten auf der neuen elektronischen Datenautobahn zur Druckerei zu schicken.
Die Mitarbeiterin, die in dieser Situation die Informationen von außen entgegennehmen musste, war die Textredakteurin der Nachtredaktion, Annika Bengtzon.
»Das heißt?«, fragte sie und machte sich in Windeseile Notizen auf einem Post-it-Zettel.
»Mindestens zwei Morde«, erwiderte Leif und brach das Gespräch ab, um die Neuigkeit auch noch bei der nächsten Zeitung als Erster verkünden zu können. Wer als Zweiter mit einem Tipp kam, erhielt kein Geld.
Annika stand auf und ließ gleichzeitig den Hörer auf die Gabel fallen.
»Zwei Tote im Värtan, möglicherweise Mord, nicht bestätigt«, sagte sie zu Janssons Hinterkopf. »Willst du es in der überregionalen Ausgabe bringen?«
»Nein«, sagte der Hinterkopf.
»Soll ich es Carl und Bertil geben?«, erkundigte sie sich.
»Ja«, antwortete der Hinterkopf.
Sie ging zum Reporterstand, den gelben Zettel wie eine Flagge an ihrem Zeigefinger festgeklebt.
»Jansson möchte, dass du dir das mal anschaust«, sagte sie und zielte mit dem Finger auf den Reporter.
Carl Wennergren zog den Zettel mit einem leicht angeekelten Gesichtsausdruck ab.
»Bertil Strand ist gekommen, falls ihr rausfahren müsst«, sagte sie.
»Er ist unten im Fotolabor.«
Annika machte auf dem Absatz kehrt und ging weg, ohne Carls Antwort abzuwarten. Die beiden hatten nicht gerade das herzlichste Verhältnis. Sie ließ sich auf ihren Stuhl fallen, ihr Kopf war müde. Es war eine sehr anstrengende Nacht gewesen, mit zahlreichen Paraden auf der Torlinie. Ein Orkan war am gestrigen Abend über Schonen hinweggefegt und dann Richtung Norden über das ganze Land gezogen. Das
Abendblatt
hatte sich viel Mühe gegeben, den Verlauf des Unwetters zu verfolgen, und war dabei ausgesprochen erfolgreic h gewesen. Sie hatten es geschafft, Reporter und Fotografen mit dem letzten Flug zum Malmöer Flughafen Sturup zu bringen, um die Redaktion in Malmö zu verstärken.
Die Journalisten in Växjö und Göteborg hatten die ganze Nacht durchgearbeitet, unterstützt von einer ganzen Heerschar freier Mitarbeiter für Text und Fotos. Das ganze Material war auf dem Nachtdesk gelandet, und Annikas Aufgabe war es gewesen, die einzelnen Artikel zusammenzustellen und zu strukturieren, was bedeutete, dass sie jeden einzelnen von ihnen umschreiben musste, damit sie zueinander und in den Zusammenhang passten.
Trotzdem war ihr Name in der Zeitung nirgendwo zu lesen, wenn man einmal von der Faktenübersicht über Orkane absah, die sie schon im Voraus erarbeitet hatte. Sie war Textredakteurin, eine von all jenen anonymen Journalisten, die im Hintergrund arbeiteten.
»Verdammter Mist!«, schnauzte Jansson plötzlich. »Das dämliche Gelb im Bild auf der ersten Seite ist nicht rübergegangen. Verdammter Mist…«
Er warf sich in Richtung Fotodesk und rief nach dem Fotoredakteur Pelle Oscarsson. Annika lächelte matt, du schöne, neue Welt.
Wenn man den Zukunftspropheten Glauben schenkte, würde die digitale Technik alles schneller, sicherer, einfacher machen. In Wirklichkeit wohnte aber ein kleiner Teufel in der ISDN-Leitung zur Druckerei, der in unregelmäßigen Abständen eine der Farbdateien schluckte, meistens die gelbe. Wenn der Fehler nicht entdeckt wurde, führte dies zu äußerst eigenartigen Fotos in der Zeitung. Jansson behauptete, der Farbfresser sei der gleiche Teufel, der auch in seiner Waschmaschine wohne und andauernd einen Strumpf esse.
»ISDN«, schnaubte der Nachtchef hinter seinem Platz, nachdem er die Katastrophe abgewendet und das Bild erneut losgeschickt hatte. »Ich Schluck Die Nachricht.«
Annika packte die Sachen auf ihrem Tisch zusammen.
»Ist doch alles ganz gut geworden, oder?«, fragte sie.
Jansson ließ sich auf seinen Stuhl fallen und steckte sich eine unangezündete Blend zwischen die Zähne.
»Du hast verdammt gut gearbeitet heute Nacht«, sagte er und nickte anerkennend. »Ich habe die Originaltexte gesehen. Du hast sie echt klasse zusammengestrickt.«
»Es ist ganz okay geworden«, meinte Annika
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