Paradies
gesprengt wurde.
Ach, verdammt, dachte er und schob den Gedanken beiseite. Das ist nicht mein Problem. Der Ausschuss hat für diesen Mist gestimmt, sollen die Ausschussmitglieder doch selber sehen, wie sie das wieder hinkriegen.
Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und griff nach dem
Abendblatt.
Er schlug die Zeitung in der Mitte auf und stieß auf ein großes Interview mit einer Fernsehmoderatorin, die ihre Stelle wechseln wollte. Wen interessiert das schon, dachte er und blätterte zum Nachrichtenteil zurück. Dort sah er ein Bild des Opfers auf dem Sergels Torg, der kurdischen Frau, die mitten in einer Demonstration ermordet worden war. Wie jung sie noch gewesen war. Sein Blick fiel auf die Bildunterschrift.
Aida Begovic aus Bosnien.
Für Sekunden stand sein Gehirn still. Dann warf er die Zeitung auf den Tisch und griff nach der Rechnung der Stiftung. Sie trug das Datum des heutigen Tages, 5. November.
Das kann doch wohl nicht wahr sein, dachte er, zerrte die unterste Schublade auf und kramte alle Aufzeichnungen und Kopien heraus, die den Fall betrafen. Er blätterte in den Papieren und stellte fest, dass seine Erinnerung ihn nicht trügte.
Aida Begovic aus Bijeljina in Bosnien.
Vor Wut verschlug es ihm den Atem, sein Blickfeld verfärbte sich rot. Diese verfluchte… Sie war so dreist, Geld für den Schutz einer Frau zu berechnen, die ermordet worden war.
Er verteilte die Blätter auf dem Schreibtisch, irgendwo musste ein kleiner Zettel mit der Adresse sein. Der Zettel fiel heraus, als er die Kopien der Unterlagen vom Gerichtsvollzieher in Sollentuna schüttelte, eine kleine Ecke von Annika Bengtzons großem Notizblock. Er schob die Rechnung und die Adresse in die Brusttasche seines Jacketts, zog seinen Mantel an und ging.
Annika stieg in Jakobsberg aus dem Zug, Seite 18 aus dem Kartenteil der Gelben Seiten in der Hand. Es wehte ein scharfer, kalter und feuchter Wind, der in die Haut biss. Überall braune Mietshäuser aus den Sechzigern, die Volkshochschule, ein Friseursalon, eine Kirche. Sie schaute auf den Stadtplan, musste in nordwestliche Richtung. Sie fand eine Fußgängerunterführung unter dem Viksjöleden, machte Halt bei Emils Fast Food und schlang einen Hamburger herunter.
Als sie aus der Imbissbude herauskam, traf sie die Nervosität mit voller Wucht. Der Geschmack von Schnellrestaurant lag wie ein Film in ihrem Mund, der Hamburger drehte ihr den Magen um, sie hatte Sodbrennen. Vermutlich war sie auf dem besten Wege, sich eines eigenmächtigen Vorgehens schuldig zu machen.
Sie starrte zu den Häusern hinauf, die im Nebel farblos und verschwommen waren.
Ich muss das nicht tun, dachte sie. Ich bin krankgeschrieben. Das
Paradies
kann warten.
Sie zögerte und starrte von einem Haus zum anderen.
Ich könnte zumindest einen Blick riskieren, dachte sie. Ich brauche ja nicht reinzugehen, nur weil ich mir das Haus von der Straße aus ansehe.
Erleichtert darüber, die Entscheidung vertagt zu haben, ging sie in Richtung des Wohnviertels, das offenkundig Olovslund hieß. Es machte nicht den Eindruck, das Ergebnis sorgfältiger städtebaulicher Planung zu sein. Alle Häuser waren in unterschiedlichen Stilen und Epochen erbaut worden, Häuser von der Jahrhundertwende standen neben einem alten Bauernhaus, einfache Einfamilienhäuser aus den dreißiger Jahren neben modernen Fassaden aus Ziegeln und braun lasiertem Holz. Das Wohngebiet war auf beiden Seiten eines beachtlichen Hügels entstanden, und viele Straßen trugen Namen, die ihre Lage beschrieben, Höhenstraße, Hangstraße, Steilweg. Andere hatte man nach Jahreszeiten und Monaten benannt, und sie kreuzte unter anderem die Herbst- und die Novemberstraße.
Ich frage mich, wie viel man in solchen Wohngebieten von den Nachbarn mitbekommt, dachte sie. Wahrscheinlich nicht viel.
Dann stieß sie auf die richtige Straße und ging langsam hinauf.
Rissiger Asphalt, Müll in den Straßengräben, der Schlüsselbund klimperte und brannte in ihrer Tasche.
Das Haus lag fast auf der Hügelkuppe, und zwar auf der Nordseite. Sie blieb an der Einfahrt stehen und studierte es vorsichtig.
Das Grundstück war abschüssig und zugewachsen, die braunen Blätter verrotteten zwischen den Schneeflecken. Das Haus selbst war in den vierziger, vielleicht auch Anfang der fünfziger Jahre gebaut worden, zwei Stockwerke, heller, graubrauner Putz, der vermutlich einmal weiß gewesen war, jetzt aber abblätterte. Keine Gardinen, keine Lampen, kein Licht. Die Fenster sahen
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