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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rena Dumont
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antwortet Mutter benommen, als wüsste sie gar nicht mehr, was sie sagt. Wahrscheinlich hat sie was getrunken.
    »Matëj, weshalb sollen wir die Wertsachen bei dir lassen? Es wird bei dir genauso komisch aussehen, wenn du mit Tante Vlastas Barockfiguren an der Grenze auftauchst. Was hat das für ’ne Logik?«
    »Nein, nein, nein, du verstehst das nicht, Leni. Bei mir vermutet keiner, dass ich flüchten könnte. Ich, ein Ehemann und Familienvater. Schau mich an!« Und er breitet heroisch die Arme aus. »Sehe ich nicht vertrauenswürdig aus? Niemals würden sie auf den Gedanken kommen, das garantiere ich dir, meine Süße.«
    Seine Augenbrauen spielen Unschuld, und die Stirn erinnert mich an einen amerikanischen Schauspieler, dessen Name mir nicht einfällt. »Wenn sie bei euch was finden, ist es aus.«
    »Hm.«
    »Und ich habe viele Kontakte! Päh!«
    Er lacht, er hört sich gerne reden. Sein aufgeplustertes Gockelgehabe ist nicht zu ertragen.
    »Matëji, schrei doch nicht so, um Himmels willen!«, flüstert meine Mutter.
    »Schon gut. Mach kein Theater«, wendet er sich verächtlich an meine Mutter, dann wieder an mich: »Ach, du. Geht das in dein Köpfchen rein?«
    »Was denn?«
    Ich bin wütend, will mich aber nicht wehren. Ich bin nicht betrunken wie sie. Die Betrunkenen werden immer auf ihrem Recht beharren. Auch wenn es der letzte Scheiß ist.
    »Du. Du bist noch grün hinter den Ohren. Wirst sie eh bald verlassen.«
    »Wen denn?«
    »Deine Mutter, du Fratz. Du findest schnell einen Job, einen Mann und ziehst aus. Weil du so schmal bist!«
    »Wie?«, frage ich zurück.
    »Na, weil du so schön schmal bist, hier.«
    Und er umfasst mein Becken. Sein Atem riecht säuerlich nach billigem Sekt und Zigaretten. »Hast ein schmales Becken. Das ist Gold wert!«
    Ich entziehe mich der Berührung. Er widert mich an.
    Meine arme, naive Mama gibt dem Barkeeper die zwei mickrigen Barockfigürchen von Tante Vlasta.

VATER, BEN UND DIE ALTEN
    Es tut mir leid, wie viel Kummer meine Mutter aushalten muss. Ich sehne mich nach meinem leiblichen Vater, der schon vor einer Ewigkeit ausgezogen ist. Ich glorifiziere ihn, obwohl ich ihn nicht kenne, obwohl er sich für uns nicht interessiert, sich nicht an meinen Geburtstag erinnert und sich seelenruhig von seiner neuen Frau verleugnen lässt. Nein, ich habe wirklich keinen Grund, ihn zu lieben, tue es aber trotzdem. Meine Tante gibt mir manchmal Zeitungsausschnitte, auf denen er abgebildet ist. Ich studiere alle Details auf dem Bild, stelle mir vor, was für ein Mensch er ist oder wie er sich zu mir verhalten würde, wenn er mein ganz normaler Vater wäre. Die Züge seines Gesichts erkenne ich eindeutig in meinem Gesicht. Mein Vater ist ein papaláš . Was interessiert ihn die kleine blonde Friseurin mit ihrer Göre in einer mährischen Kleinstadt. Er will ganz nach oben, auf den Gipfel des kommunistischen Daseins, und er ist nah dran.
    Es ist Sonntag. Mutter und ich sitzen bei den Großeltern und essen Huhn mit Majorankartoffeln. Dazu gibt es noch ein paar Gürkchen und einen Kopfsalat in Essig. Es schmeckt vorzüglich. Großvater hat sich mit dem Kochen besondere Mühe gegeben, es ist das letzte Essen vor unserer Ausreise. Mutter versucht, eine heitere Atmosphäre zu verbreiten, sie lacht über Dinge, die nicht witzig sind. Es ist schrecklich. Oma, die Arme, macht sich um uns Sorgen, kann es kaum abwarten, bis wir wieder da sind. Sie spricht über die Sachen, die wir auf keinen Fall vergessen dürfen. Wie zum Beispiel dicke Socken oder Fleischdosen. Ich bemerke in den Augen meiner Mutter einen Glanz. Sie weint. Ohne Tränen. Es ist schwer zu ertragen. Meine Kehle ist zugeschnürt, ich kriege die Bissen kaum herunter.
    Die Großeltern dürfen nichts erfahren. Zu riskant. Zu viel Emotion und kein Verständnis für die Sache. Irgendein Bekannter erzählte uns mal, dass die Eltern der Emigranten relativ bald ausreisen dürfen. Das tröstet ein wenig.
    Es wird selbst gebackener Kuchen serviert. Und obwohl Oma seit meinem 10. Lebensjahr an Diabetes leidet, hat sie von dem Kuchen schon einen kräftigen Happen vertilgt. Seit meinem 10. Lebensjahr verpasse ich ihr dreimal täglich eine Insulinspritze in den Speckbauch, wenn ich Zeit dazu habe. Laut meinem Großvater bin ich, meiner dünnen Finger wegen, am besten dazu geeignet. In den letzten Jahren komme ich leider immer seltener dazu, somit muss der Opa diese medizinische Aufgabe selbst verrichten. Dabei lamentiert er unentwegt.
    Meine

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