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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rena Dumont
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man die Chance aufzufallen, wenn man etwas kann und etwas will.
    Ivana und Olin sind unser Anker im Westen, in der Traumwelt Aalen, im Reihenhaus am Rande einer kleinen Ortschaft. Sie wollen wir um Hilfe bitten. Ich kenne sie von ihren raren Besuchen bei Jarek und Marie. Wenn sie Toffifee und Kaffee mitbrachten, waren alle aus dem Häuschen. Und wenn sie besonders viel Zeit hatten, beglückten sie sogar meine Mutter und mich mit ihrer Anwesenheit in unserer Wohnung. Meine Mutter fing dann schon zwei Wochen vorher an zu putzen.
    Mutter ruft noch am selben Abend Ivana und Olin an. Ganz offiziell. Alles noch erlaubt. Unser Anker im Westen ist nicht besonders begeistert über die Nachricht, dass wir sie besuchen wollen. Sie wundern sich, dass es uns gelungen ist, ein Ausreisevisum zu bekommen. Sich zwei naive, konsumsüchtige Ostblock-Weiber ins Haus zu holen, geht ans Portemonnaie. Mutter versucht ihnen plausibel zu machen, dass wir von ihnen für die ersten Tage unseres Urlaubs außer einem Dach über dem Kopf nichts verlangen. Nur so lange, bis wir uns in der Fremde orientiert haben. Nach einigem Hin und Her willigen sie ein.
    »Geizhälse«, sagt Mutter sauer, sobald sie aufgelegt hat.
    »Ist doch verständlich, dass sie nicht in Euphorie verfallen. Scheißen wir auf sie, Mutter.«
    »Leni, sei nicht so vulgär. Du redest wie ein Metzger.«
    »Ist doch wahr!«
    »Aber wir brauchen sie, oder glaubst du, dass ich mit meinem »sprächän sä deutsch« durchkomme?«
    Ich schweige. Sie hat recht. Wir brauchen sie, sie müssen übersetzen. Ich komme mit meinem Schulenglisch wahrscheinlich auch nicht weit.
    »Wie viel Geld haben wir, Mutter?«
    »Tausend Mark.«
    »Und 65. Hab ich gespart.«
    »Wovon?«
    »Sachen verkauft.«
    »Du Esel, du verrätst uns noch!«
    »Ich? Du erzählst es doch jedem!«
    »Jarek muss Sachen aus der Wohnung mitnehmen, du Dödel, der muss Bescheid wissen. Ich habe keine Lust, dass sich die papaláši unser Hab und Gut holen.«
    »Und Matëj?«
    »Das ist was anderes. Der kennt sich aus.«
    Ist die doof.

BLEI AN DEN FÜSSEN
    Der Tag der Abreise naht, und unsere Aufregung wächst. Mein Zeugnis ist miserabel, dieses Jahr habe ich versagt. Egal. Ich werde mein Abi sowieso nicht hier machen müssen. Meiner Mutter ist langsam alles zu viel, sie schaut sich die schlechten Noten an, schimpft nicht mal und redet ziemlich wirres Zeug. Ich spüre, dass sie sich einredet, es sei nur ein böser Traum, nach dem sie aufwacht und ihr vertrautes Leben wiederfindet. Innerlich macht sie einen Schritt zurück und hofft sehnlichst, dass auch ich es tue. Mir geht es aber nicht so.
    Jarek soll nach unserer Abreise möglichst viele Wertgegenstände aus der Wohnung mitnehmen. Unauffällig. Das Porzellan, das wir von Tante Vlasta geerbt haben, diverse technische Geräte, Bettzeug, Winterkleidung, Schuhe, Schmuck, Gläser, Besteck und vor allem, das ist mein innigster Wunsch, Fotografien, Mamas Zeichnungen, Zeugnisse und meine Tagebücher. Das will ich wirklich haben, wenn auch erst in ein paar Jahren. Alles andere dürfen Jarek und Marie sich holen, bevor der Staat es sich einverleibt wie eine gefräßige Raupe.
    Morgen ist es so weit. Mutter erledigt die letzten Vorbereitungen, poliert unseren Fiat, damit wir uns im Westen zwischen den vielen Mercedessen nicht schämen müssen. Ich packe meinen Koffer und denke über mein bisheriges Leben nach. Es ist ein gemütliches, schönes, bedeutungsloses Dahinsiechen gewesen. Ich kralle mich in die Armlehnen des gelben Sessels, auf dem ich sitze. Er gehört zu der Möbelgarnitur, die mir meine Mutter gekauft hat, als ich keine Lust mehr auf alberne Kindermöbel hatte. Ein richtiges Wohnzimmer wollte ich haben. Schade um die Möbel. Meine Mutter hat lange gespart, damit ich mit einem erwachsenen Zimmer angeben kann. Die gelbe Blümchentapete und die eingebaute Bar im Schrank, in der ich penibel Verpackungen von Kaugummis und Schokolade verwahre, sind wie neu, am liebsten würde ich sie zerkratzen, zerstören. Niemand soll Freude an ihnen haben. Das haben sie nicht verdient, dass ein papaláš sie sich unter den Nagel reißt. Ich bin vernünftig, streichle sanft die unschuldigen Armlehnen und denke weiter nach.
    Wer wird darin sitzen? Ob die neuen Besitzer diese gelbe Garnitur genau so schätzen werden wie ich? Sie wird ihnen egal sein. Vereinzelte Tränen laufen mir die Wangen hinunter. Hoffentlich kommt meine Mutter nicht ausgerechnet in diesem Augenblick ins Zimmer und sieht mich

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