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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rena Dumont
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Vielleicht will er dieses traurige Kapitel endlich beenden, sich von mir losreißen, vielleicht hat er Angst, noch mal zurückkommen zu müssen, um mich zu beschimpfen, was für ein herzloses Miststück ich sei. Schließlich füge ich uns den Schmerz zu. Ich allein bin es, die für mein besseres, aufregenderes Leben ein Stück aus unseren Herzen reißt. Meiner Mutter, die gar nicht weg will, reiße ich ebenso ein Stück heraus. Und sie begleitet mich ins Nirwana, um ihr einziges Kind nicht zu verlieren. So was tun nur Mütter. Ich hasse mich dafür.

VIER AUGENRINGE SIND UNTERWEGS
    Von schlafen kann keine Rede sein. Mutter, die sonst nie an Schlafstörungen leidet, wälzt sich diese Nacht im Bett herum. Die »Kreissäge«, mit der sie mich regelmäßig traktiert, fällt aus. Es ist sechs Uhr morgens. Auf das Duschen verzichte ich diesmal, damit die Poesie auf der Haut unversehrt im Westen ankommt. Unsere Ersparnisse verstecken wir teils im Innern meines dicken Gürtels, teils in Mutters Unterhose. Kurz bevor wir die Wohnung verlassen, halten wir inne.
    »Das ist das letzte Mal, dass wir sie sehen«, flüstert Mutter.
    »Ja.«
    »Es ist ein furchtbares Gefühl.«
    »Absolut. Kann ich nicht wenigstens eins meiner Tagebücher mitnehmen?«
    »Nein. Zu riskant.«
    »Ich krepier’.«
    »Ich erst.«
    Leise klickt das Schloss.
    »Vielleicht kommen wir zurück.«
    »Ohne mich, Mutter.«
    »Oh Gott.«
    Im Flur stehen wir noch eine Weile und sehen uns wortlos an.
    »Haben wir alles?«
    Ich bin so fertig mit den Nerven, dass es mir nicht gelingt, meiner Mutter zu antworten. Geistesabwesend nicke ich, vergessene Sachen sind mir völlig egal.
    »Ich hoffe, ja«, ergänzt sie und fährt mit ihrer zittrigen Hand über das Geländer im Flur. Wir steigen langsam die Treppe herab, müde vor Angst und Traurigkeit. Unser Blick streift zum letzten Mal die Briefkästen.
    »Auf Wiedersehen«, flüstert meine Mutter und versetzt mir einen Kinnhaken mit diesem Satz. Ich sehe alles verschwommen.
    Der frisch polierte Fiat glänzt in der Morgensonne wie ein nagelneues Auto, dafür erinnern unsere geschwollenen Gesichter an neu geborene Meerschweinchen. Egal, da muss man durch. Es ist sechs Uhr fünfzig, mittags soll die gefürchtete Grenze erreicht sein. Es kann losgehen.
    Auf der Fahrt raucht Mutter eine Zigarette nach der anderen. Das Fenster darf nur ein winziges Stück geöffnet werden, damit wir uns keine Mittelohrentzündung holen. Im Juli! Ich stecke im Overall und in einer weißen Strickjacke. Ich liebe zwar diesen pinkfarbenen Sommer-Overall, doch diesmal ist es wirklich zu viel. Aber mein Körper muss nun mal von Kopf bis Fuß mit Kleidung bedeckt sein. Wegen der Gedichte auf meiner Haut. Mutter fragt, wieso ich wie im Februar angezogen bin – ob ich auf den Kopf gefallen sei?
    »Na ja, ich fühle mich nicht besonders gut, irgendwie schwächlich, vielleicht hab ich Schüttelfrost. Ich bleibe besser angezogen. Wir wollen doch nichts riskieren, oder?«
    Ein Fehler. Das hätte ich nicht sagen sollen. Sie schließt das Fenster ganz und hält mir eine Predigt über die Gesundheit. Über Verantwortung anderen gegenüber und über ihre eigene Erfahrung. Mir brummt die Birne.
    Mutter trinkt während der Fahrt so gut wie nichts, damit sie ja nicht auf die Toilette gehen muss. Sie könnte das Geld im Klo verlieren. Gar nicht erst riskieren ist ihre Devise. Echte Märtyrerin.
    Um Punkt zwölf Uhr mittags stehen wir an dem gespenstischen Grenzübergang Rozvadov. Er sieht völlig normal aus, doch auf uns und in dieser Stunde wirkt er gespenstisch. Eine endlose Schlange aus Autos und Lkws zieht sich vor uns in die Länge. Wir schwitzen vor Angst und Hitze. Es wird kein Wort gesprochen, das Herz pocht laut genug.
    »Hoffentlich hat Pavel nicht in seiner Verzweiflung bei der Polizei angerufen, ich würde ihm alles zutrauen!«, platzt es aus meiner Mutter heraus. Sie scheint kurz davor zu sein, in völlige Raserei auszubrechen.
    »Na, das ist ja wieder typisch! Wieso sollte gerade er so eine Dummheit machen?«
    Ich muss mich wehren.
    »Weil er dumm ist!«, sagt sie schroff.
    »Das ist eine Frechheit, Mutter!«
    »Schau dich doch an, wie du aussiehst! So eine Schnapsidee!«
    »Was?!«, keife ich zurück.
    »Ich könnte dich von morgens bis abends ohrfeigen!« Ihre Stimme überschlägt sich ins Jodeln.
    »Was meinst du denn?«
    »Glaubst du, ich bin so blöd und sehe nicht, was du unter den Klamotten versteckt hältst?«
    Verdammt. Verdammt noch mal,

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