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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rena Dumont
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sie weiß Bescheid! Diese Frau hat definitiv ihren Beruf verfehlt. Sie wäre besser Detektivin geworden. Eine glänzende Karriere hätte sie gemacht. Wir waren so vorsichtig, und sie entlarvt mich. Ekelhaft!
    »Du versaust uns die ganze Zukunft! Du Esel! Die Zukunft ist dahin, futsch! Du Esel!«
    Die ganze Zeit muss ich mir das anhören, während wir im Auto warten, dass die Guillotine für unsere Köpfe frei ist. Mutter ist im Arsch. Sie hat eine Kippe im Mund, eine zweite vergisst sie im Autoaschenbecher und gleichzeitig zündet sie sich die dritte an. Da ist nichts mehr zu retten. Ihre Nerven liegen blank, ich nehme ihr nichts mehr übel, bete nur, dass sie das durchsteht.
    »Ihre Papiere«, sagt der Zollbeamte routiniert zu uns, nachdem wir über eine Stunde gewartet haben. Mutter reicht ihm durch das Fenster alles Nötige, die Hälfte der Unterlagen fällt auf den Boden, sie muss aus dem Wagen aussteigen und sie aufsammeln. Der Dussligkeit wegen wird er noch sauer und filzt uns ordentlich durch, denke ich. Oder die Banknoten verabschieden sich aus ihrer Unterhose und fallen fröhlich unter ihrem Rock heraus. Wie verbotene Flugblätter. Mutter ist hektisch, weitere Dokumente fallen herunter. Ich wette, der Zollbeamte weiß in diesem Moment alles. Das Schmunzeln auf seinem jungen Gesicht verrät eine präzise Menschenkenntnis. Die Vielfalt der Pannen ist ihm sicher geläufig, und er weiß ganz genau, woher sie kommen. Gott sei Dank ist er noch nicht verbissen, wie es vielleicht seine älteren Kollegen sind, die am liebsten selber das Land verlassen würden. Beim Betrachten des Visums stutzt er, schaut auf seine Uhr und dann zu uns.
    »Sie können nicht durchfahren.«
    Wir hören auf zu atmen.
    »Wieso nicht?«, wirft meine Mutter mir nichts, dir nichts in die Luft, als wäre sie nicht da, als hätte das jemand anders gesagt.
    »Sind Sie in Eile?« Er schaut noch kurz in ihren Pass. »Frau Hrózová?«
    »Nein … wieso?«, fragt meine Mutter. Die Augen fallen ihr beinahe aus den Höhlen, ihre linke Gesichtshälfte beginnt merkwürdig zu zucken.
    »Sie sind elf Stunden zu früh hier. Das Visum ist ab zwölf Uhr nachts gültig, nicht ab zwölf Uhr mittags, Frau Hrózová. Sie haben sich vertan«, schmunzelt der Zollbeamte. Ich stelle fest, dass er Gefallen daran findet, uns zu quälen wie ein Folterknecht. Wir sind gelb im Gesicht.
    »Es tut mir leid, Sie müssen umdrehen und später wiederkommen.«
    Wir sind fertig, am Ende, völlig aufgelöst. Mutter, fünf Zigaretten gleichzeitig rauchend, fährt auf den nächstliegenden Parkplatz, von dem aus wir die Grenze im Blick behalten können. Das »Spiel« ist noch nicht verloren.
    Die Minuten werden zu Stunden. Die Stunden wollen nicht vergehen. Elf grauenvolle Stunden in dieser Anspannung. Unsere Glieder kleben an den Sitzen fest wie Honig.
    Endlich wird es dunkel, ich esse das letzte Schnitzel mit Graubrot und trinke den letzten Tropfen Himbeersirup. Meine Mutter nimmt außer etwas Flüssigkeit nichts zu sich. Um 22 Uhr überfällt uns eine solche Müdigkeit, dass wir beide einschlafen.
    »Oh Gott, Lenko! Es ist zwei!! Wach sofort auf. Du Esel, warum weckst du mich nicht, wenn du nicht schlafen kannst! Von wegen Schlaflosigkeit! Das kannst du deiner Großmutter erzählen. Wenn du schlafen sollst, sitzt du wie ´ne Kerze aufrecht im Bett, und wenn du wach sein sollst, pennst du ein! Wach auf! Wir sind zu spät dran, wahrscheinlich lassen sie uns nicht mehr über die Grenze.«
    Ich verstehe es auch nicht, warum ich gerade in diesem unbequemen kleinen Fiat so herrlich eingeschlafen bin und süß vor mich hin geträumt habe.
    Der Grenzübergang scheint ein ganz anderer zu sein als der, den wir vor elf Stunden zu passieren versucht haben: keine Spur von dem Wirrwarr aus Chaos und Ordnung von vorhin. Ausländer, Inländer, Polizeibeamte, unzählige Trucks, Benzingestank – diesmal ist nichts davon da. Menschenleerer Waldgeruch!
    »Ihre Papiere«, kommt es erneut aus dem Mund eines Zollbeamten. Eines anderen diesmal. Älter und verbissener. Aber genauso ehrgeizig. Doch wir sind mittlerweile so benebelt und müde, dass wir nicht mal mehr zittern. Wir sind zwei Steine auf dem Meeresgrund. Entweder oder.
    »Steigen Sie aus.«
    Ich halte unauffällig meine Hand an den Gürtel, um mich zu vergewissern, dass das illegale »große« Geld, das Geld, das über das erlaubte Limit hinausgeht, auch noch steckt, wo es verdammt noch mal stecken soll, und nicht vielleicht durch das

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