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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rena Dumont
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Aussteigen verrutscht ist.
    Drei Zollbeamte kommen auf uns zu. Sie tuscheln miteinander wie die schlimmsten Tratschtanten. Die allgemeine Nervosität steigt. Sie stellen uns tausend Fragen. Ein einziges Wieso, Warum, Wohin, Wann und Wie lange. Mutter stottert, als hätte sie keine Ahnung, dabei hat sie alle Infos rauf und runter auswendig gelernt. Die Taschen und Koffer sollen vollständig ausgepackt werden, der Kofferraum und der Raum unter dem Kofferraum werden gründlich bis in die kleinste Ritze durchsucht. Ich sehe diese verborgenen Plätze in unserem Auto zum ersten Mal. Der gesamte Innenraum des Autos wird durchsucht, die Radkappen werden entfernt, die Motorhaube geöffnet. Uns stockt der Atem. Todesstille.
    Dann bitten sie uns, alles wieder einzupacken. Es dauert ewig.
    Sie haben nichts gefunden. Der Gürtel und die Unterhose sind noch dran. Einige Formalitäten kosten noch eine gute Dreiviertelstunde. Dann, um halb vier Uhr nachts, winken sie uns ein Wiedersehen. Meine Mutter startet erschöpft den Motor.
    Nach zwanzig Metern erwarten uns die deutschen Beamten, aber vor denen fürchten wir uns nicht mehr. Sie sind unsere Verbündeten, unsere Freunde, die Zukunft, die Lieblinge, die, die uns nur Gutes wollen. Wie Balsam für die Seele klingt die bayerische Begrüßung, die wir zwar nicht verstehen, uns aber sinngemäß mit »Willkommen, wir lieben euch« übersetzen.
    Formalitäten ohne Ende. Papiere, Papiere, Papiere. Mutter liest sie nicht, sie unterschreibt. Alles, was man ihr gibt. Jetzt ist uns alles egal, wir hätten auch unser Todesurteil unterschrieben, so zermürbt fühlen wir uns. Die Beamten fragen etwas in schlechtem Tschechisch, auch das verstehen wir nicht. Wir nicken und sagen Ja. Sie winken und sagen das einzige Wort, das wir kennen: »Auf Wiedersehen.«
    Mutter startet zum zweiten Mal den Wagen, und wir fahren los.

AUF DER ANDEREN SEITE
    Wohin fahren wir? Wir wissen es nicht so richtig. Es kommt lange nichts. Dunkelheit. Nichts als Dunkelheit, ab und zu ein sauberes blaues Schild, mit Wörtern darauf, die uns nichts sagen. Die Straße wird zu einer glatten, breiten, weiß markierten, mit regelmäßigen Pfosten ausgestatteten, einfach perfekten Fahrbahn. Keine Schlaglöcher, keine Risse, keine überraschenden Warnungen vor Straßenschäden, die dort seit Jahrzehnten lauern, um die Autos in die Falle zu locken. Nichts dergleichen. Wir genießen es. Eine halbe Stunde lang reden wir über die gute Fahrbahn.
    Auf einmal wird uns klar, dass wir »drüben« sind. Ganz plötzlich fangen wir an zu schreien, zu jubeln, als hätten wir ein Match gewonnen. Ein eigenartiges Gefühl. Wir zeigen Stinkefinger in Richtung Osten, drehen laut das Radio auf, hören uns das Nachrichtengequatsche an, tun so, als würden wir Deutsch verstehen.
    Das mulmige Gefühl im Magen ist immer noch da, aber wir sind glücklich. Mamas Appetit auf eine Zigarette kommt wieder, ich freue mich darüber, zum ersten Mal in meinem Leben.
    Mit einer Landkarte in der Hand versuche ich mich zu orientieren. Es überfordert mich. Nichts, was auf den Schildern steht, finde ich auf der verfluchten Karte. Mutter schimpft wieder, keift mich an, dass ich zu debil sei, eine simple Karte zu lesen. Sie hält am Straßenrand, mitten im Wald, um es selber in die Hand zu nehmen, tut so, als könne sie auf Anhieb das Dilemma lösen, doch dann faltet sie den Plan langsam zusammen und fährt kleinlaut einfach weiter, geradeaus. Ich sage kein Wort. Ich habe keine Lust auf Streit.
    Die erste Ortschaft kommt! Wir sind gespannt, wie so eine deutsche Ortschaft aussieht. Trostlos ist sie. Genauso trostlos wie die tschechischen, aber doch anders. Wir suchen sehnsüchtig die Reklameschilder, wie wir sie aus den geschmuggelten West-Zeitschriften kennen. Vielleicht haben wir in den Zeitschriften Städte wie New York oder Tokio gesehen, da kann so ein Weidhaus, oder wie der Ort auch heißen mag, nicht mithalten. Wir verzeihen es ihm.
    Eine fade Stunde fahren wir durch die Einöde. Es gelingt uns erst jetzt festzustellen, wo wir gerade sind und in welche Richtung wir fahren. Ingolstadt. Ab mit uns nach Ingolstadt! Genau richtig. In Ingolstadt wohnt Emilka.

RUNDE STANGEN ZUM FRÜHSTÜCK
    Emilka ist eine Bekannte meiner Mutter. In monatlichen Intervallen kam sie nach Pùerov, um uns Westkleidung anzubieten.
    »Schnell. Fummel kommt!«, rief meine Mutter, wenn Emilka klingelte. Das hat uns viel bedeutet. Ihr Kombi war vollgepackt mit Tüten tollster Kleidung, die

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