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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rena Dumont
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ausnahmsweise nicht ausschließlich aus Polyesterstoff gemacht war. Die tschechische Textilindustrie scheint nämlich eine Schwäche für Polyesterstoff zu haben, der am menschlichen Körper Furunkel, Pickel oder Ekzeme aller Arten hervorruft. Deshalb durfte man Emilka nicht verpassen. Das Geschäft wurde schnell, geräuschlos und vor Ort getätigt, das heißt draußen, in der Dunkelheit, vor ihrem parkenden Auto.
    »Das nehme ich, das auch … oh, ist das toll, nehme ich, das brauche ich dringend, schon lange gesucht, oh, nehme ich …«, kam es aus unseren gierigen Mündern. Wie auf dem Jahrmarkt, einem leisen Jahrmarkt. Ohne Ausprobieren, ohne Nachdenken, wir haben gekauft, gekauft, gekauft. Das Geld war futsch, aber das war uns egal! Die Hälfte der Klamotten hat uns dann nicht gepasst, wir haben sie weiterverkauft. Kein Problem. Jeder hat sich die Finger danach geleckt.
    Ich habe mich stolz in der Pùerover Fußgängerzone präsentiert, alle haben sofort erkannt, dass es sich nicht um »Prior«-Ware aus dem einzigen, immer leeren Kaufhaus unserer Stadt handelte.
    »Mutter, was wollen wir bei Emilka in Ingolstadt?«
    »Fragen, was sonst?«, sagt sie unbeteiligt.
    »Was fragen?«
    »Ja, wie wir abhauen sollen oder so.«
    »Hm …«, sage ich gedankenverloren. »Aber um fünf Uhr morgens?«
    Sie schweigt.
    Ich denke an meinen Freund. Ich werde ihn nie wiedersehen und vermisse ihn jetzt schon. Ach, mein liebster Freund. Fallen lassen habe ich ihn, wie eine heiße Kartoffel. Wie gerne ich mich an seiner Schulter ausweinen würde. Deutschland scheint mir überhaupt nicht mehr so interessant zu sein. Alles wirkt so kalt und fremd hier, so fremd. Mutter hält an.
    »Ich bin müde, lass uns ein Schläfchen machen«, sagt sie trüb. Ich kann das Auto im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr riechen, möchte aussteigen, nicke aber. Ich will nicht, dass sie noch einen Unfall baut, und es stimmt, was sollen wir bei Emilka so früh. Draußen ist es noch stockdunkel. Mutter hat den dunkelsten Fleck in ganz Deutschland gefunden. Ich fürchte mich. Wir verriegeln alle Türen, und Mutter macht es sich bequem.
    Ich sehe alle Heiligen vor Angst. Meine Augen brennen vor Müdigkeit, schließlich ist es die zweite durchwachte Nacht. Ich versuche, an schöne Sachen zu denken, stelle mir vor, wie uns Emilka fröhlich empfängt, uns beschenkt und aufnimmt. Wie sie uns Mut macht, Geld leiht und uns in der ersten Zeit bei sich wohnen lässt. Wie sie uns Deutsch beibringt und uns erklärt, wie das Leben hier funktioniert. Ich seufze. Schöne Illusionen baue ich mir zusammen. Wenn es nur so wäre. Ich bete zu Emilka.
    Mutter schnarcht. Die Säge ist wieder da. Plötzlich bin auch ich weg.
    Es raschelt. Mutter bewegt sich, das ganze Auto wackelt.
    »Acht Uhr. Ich denke, wir können losfahren, Leni. Hast du ein bisschen schlafen können?«, fragt sie mich lieb.
    »Ja. Ein bisschen.«
    Tagsüber sieht die Welt irgendwie besser aus. Allein der Anblick der deutschen Autos beruhigt mich. Sie glänzen so schön und sind so geräumig. Die Menschen darin wirken gepflegt und ausgeruht. Wahrscheinlich haben sie nicht solche Sorgen wie wir. Ich würde gerne mit ihnen tauschen. Das Ingolstädter Ortsschild begrüßt uns. Eine Großstadt!
    »Na, Grüß Gott!«, ruft Emilka auf Deutsch, als sie uns vor ihrer Wohnungstür erblickt. »Was macht ihr denn hier?«, wechselt sie endlich ins Tschechische. »Das ist ja eine Überraschung! Ich bin ganz geplättet?! Kommt, kommt nur herein.«
    Sie weist mit dem Arm ins Innere der Wohnung. Eine schöne Begrüßung, denke ich. Fast wie in meinem Traum. »Kommt doch herein, habt keine Angst.«
    Müden Schrittes folgen wir Emilka in die Küche. Die Einrichtung, mit einer hölzernen Eckbank, geschnitztem Holztisch und einer braunen Lampe mit gemustertem Stoffschirm, wirkt auf mich sehr ländlich. Diese Art von Einrichtung kenne ich nicht. Aber da ich noch nicht weiß, was mir gefällt, lasse ich es auf mich wirken. Wir erzählen Emilka unsere Odyssee, trauen uns aber nicht, die Flucht zu offenbaren. Es geht nicht. Irgendwie fühlen wir uns der Wahrheit nicht gewachsen, wir brauchen erst mal ein wenig Ruhe, Schlaf und ein schlichtes Frühstück. Wir verstehen uns. Mutter und ich.
    »Meine Lieben, ihr habt aber Glück, dass ich gerade zu Hause bin. Normalerweise wäre ich in der Arbeit. So zu kommen, ohne anzurufen! Leichtsinnig. In eurem Alter habe ich auch so einen Unsinn gemacht.« Emilkas fröhliche laute Stimme ist mir

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