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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rena Dumont
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schliefen, in unser Zimmer und schrie: »Schaut alle her! Schaut doch alle her! Kommt alle! Trubka ist über Nacht ein Bart gewachsen!«
    Trubka fuhr hoch wie von der Tarantel gestochen. Und versuchte dann schnell ihren nackten Hintern wieder unter der Decke zu verstecken. Ich lag noch im Koma und kapierte nicht ganz, was los war.
    »Jesusmaria, was ist denn passiert? Wem ist ein Bart gewachsen?«
    Die gesamte Familie, samt Pudel Ben, stand um uns herum und lachte. Olin kannte keine Gnade. Trubkas zarte erste Behaarung musste für eine seiner Pointen herhalten.
    »Außer einem schwarzen Bart war nichts zu sehen. Ich habe mich zu Tode erschrocken. War es ein Mann oder ein Tier? Was wird sein, wenn Trubka erwachsen ist, wie soll es weitergehen?«
    Oh Gott, wie leid sie mir tat! Seitdem hatte sie die Bartgeschichte ständig auf dem Teller.
    Olin ließ nichts aus. Gott sei Dank trug ich einen Pyjama, denn so gut wie meine Cousine hätte ich die Schmach nicht weggesteckt.
    Was macht Trubka jetzt? Sie weiß noch nichts. Sie glaubt, wir sind im Urlaub. Wir sind in vierzehn Tagen zurück und dann gehen wir zusammen baden, glaubt sie. Ich möchte sie anrufen, ihr sagen, dass wir nie mehr zusammen baden gehen. Und dass ich es geliebt habe, mit ihr zusammen zu sein, und dass ich sie vermisse.
    Sie würde ihre Schnauze nicht halten können, sie würde alles heraustrompeten, noch bevor wir hier richtig angekommen sind. Sie heißt nicht umsonst Trubka, die Trompete. Der liebe Gott schenkte ihr schneeweiße Haut mit Sommersprossen, riesige Brüste mit ganz hellen Brustwarzen und wunderschönes welliges, dichtes Haar. Alle haben sie um ihr Haar beneidet, aber sie verabscheut es und trägt es ganz kurz. Zu kurz. Ich liebe sie wie meine eigene Schwester, die Kindheit hat uns gehört.
    Ich sehe mir die Orte an, durch die wir fahren. Ich mag sie überhaupt nicht. Vielleicht liegt es am Wetter, es regnet schon den ganzen Tag.
    Auf einmal erinnere ich mich an Dinge, die ich längst für vergessen gehalten habe. An Doktorspiele mit Trubka. Unsere Finger steckten überall. Absurd. Beschämend. Wenn meine Mutter wüsste, was wir alles angestellt haben.
    »Mutter, wir sind gleich da. Ich dachte, sie wohnen in Aalen.«
    »In der Nähe von Aalen.«
    »Ist ja kleiner als Pùerov, Mutter.«
    »Ja, ja, viel kleiner. Auch Aalen ist kleiner.«
    Ich bin schockiert, in welcher Provinz die beiden leben.
    »Warum wohnen sie auf dem Dorf?«
    »Leni, frag sie doch selber, ich bin kein Opa Alleswisser. Außerdem will nicht jeder in New York leben wie du.«
    Für mich ist es tatsächlich unverständlich. Das graue Haus mit den winzigen Fenstern, als verbärge sich hinter jedem eine Toilette, erinnert an ein Gefängnis, irgendwo in einem Ort, der nicht mal eines Namens würdig ist. Lieblos, ordentlich.
    Olin und Ivana empfangen uns freundlich und herzlich. Wir haben noch nicht mal die Koffer richtig abgestellt, da sprechen sie schon von Emigration. Ich weiß nicht, ob sie irgendwas ahnen und sich ängstigen, dass sie sich um uns kümmern oder uns finanziell unterstützen müssen. Die Emigration ist eine Schnapsidee, erklären sie uns ungefragt, sie stürzt die Menschen ins Unglück, sie bleiben für immer zwiegespalten, leben am Rande des Existenzminimums oder werden obdachlos. Emigranten in Deutschland gehen zugrunde. So. Niemand mag sie. Sie haben kein Zuhause mehr, kein warmes Nestchen. Die Tschechoslowakei ist für immer weg! Unerreichbar. Die Sozialhilfe ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Und so weiter. Und so fort. Nur Horrormeldungen.
    Nach diesem Monolog sind wir beide so eingeschüchtert, dass wir gar nicht sicher sind, ob wir diesen Schritt überhaupt wagen wollen. Wir erwähnen kein Sterbenswort. Die Koffer werden kaum ausgepackt, nur das Nötigste, vielleicht setzen wir uns bald in unseren Fiat und hauen wieder ab.
    Am Abend entspannt sich die Situation. Olin überredet mich, zum ersten Mal im Leben meine Beine zu rasieren. Das ist eine außergewöhnliche Premiere für mich, denn in der Tschechoslowakei wird, bis auf Männerbärte, nichts, aber auch gar nichts rasiert.
    Wir sehen fern. Bei der Fernsehschnulze »Dornenvögel« heulen wir, obwohl wir nichts verstehen, so sehr, dass Ivana anfängt, sich ernsthaft Sorgen zu machen. Verblüffend, wie solch ein kitschiger Film bewegen kann, und das nur mit Bildern. Zum Abendessen gibt es eine kalte Wurstplatte mit dunklem Brot, herrlich.
    Eine Woche vergeht. Die Hälfte der Zeit liegt hinter uns

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