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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rena Dumont
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weiß, warum. Er sagt, er müsse arbeiten. Wenn er kommt, lädt er Mutter und mich in ein Restaurant ein. Das ist ein Highlight des Tages. Wir machen uns Stunden vorher schick, fühlen uns wie die englische Königin, obwohl es sich um einen billigen Italiener handelt. Meint Lydia.
    Die italienische Küche kennen wir nicht. Zu Hause gab es »Kniechen«, weiter nichts. Eine wenig ansehnliche kommunistische Pastasorte in Form eines Knies. Sehr klein geraten. »Kniechen« werden extra serviert, mit einer braunen Sauce und Fleisch. Oma hatte sich noch eine andere »Kniechen«-Variante ausgedacht, auf die sie enorm stolz war: »Kniechen« mit Schinken und Ei, im Ofen gratiniert. Ein Kinderessen.
    Pasta-Gerichte in der Tschechoslowakei schmecken so italienisch, dass sich jeder Italiener eine Kugel durch den Kopf jagen würde, nachdem er gefleht hätte: »Hört bitte einfach auf damit!«
    Ich verfalle in eine Art Trance, als ich zum ersten Mal Tortellini alla Panna koste. Ein Traum, ein Gedicht, Ekstase! Diese perfekte Kombination aus Sahne, Fleischfüllung und Nudelteig macht meinen Gaumen sofort abhängig. Ein weißes, weiches Brot dazu serviert zu bekommen, ist ebenfalls neu und geradezu revolutionär.
    »Marian, wozu bekommen wir Weißbrot? Ich habe es nicht bestellt?! Wenn ich es esse, bin ich satt«, frage ich neugierig.
    »Ich nicht. Ich kann viel essen. Mein Bruder sagte immer, ich habe einen Magen wie ’ne Kuh«, schmatzt Mutter dazwischen. Sie ist im siebten Himmel.
    »Guck mal, Nadi, du schmierst dir diese Kräuterbutter drauf …«, und Marian zeigt uns elegant seine Schmierkunst, mit abgespreiztem kleinem Finger, wie nur Frauen es machen, bis das Brot ganz perfekt aussieht. Dann beißt er genüsslich hinein. Für solche Momente nehme ich unsere Sexeskapaden in Kauf. »… und damit du nicht satt davon wirst, isst du nur ein Stück. Kein Mensch zwingt dich, den ganzen Brotkorb aufzuessen.«
    Das geht in unsere tschechischen Birnen schwer rein, denn was auf dem Tisch steht, wird auch gegessen. Ohne Wenn und Aber. Meine Großeltern sagten immer: »Hau rein, iss auf! Wenn der Krieg kommt, wirst du dich erinnern, wie du königlich gespeist hast.«
    »Du Esel!«, fügte unsere Großmutter meistens noch hinzu.
    Ich könnte mir vorstellen, dass diese Art zu denken meinen Großeltern ihr Übergewicht eingebrockt hat, und nicht nur ihnen, sondern der gesamten Generation dieser Republik. Alle sind fett.
    »Da freut sich der Mensch, wenn das Kind isst. Dutzi, dutzi«, war Omas Lieblingsspruch. Sie dachte sich die unmöglichsten Tricks aus, um mich zum Essen zu animieren. Sie war erst glücklich, wenn ich aß.
    Ich versuche also dezent und gegen meine Gewohnheit, nur eine einzige Scheibe des köstlichen Weißbrots zu verzehren. Die leeren Teller, auf denen sich noch vor wenigen Minuten Tortellini alla Panna befanden, werden weggetragen. Sie weilen in unseren Bäuchen, gequetscht wie Ölsardinen in der Büchse. Sein Teller ist noch voll und seine schönen blauen Augen glänzen vor Freude, weil er für uns den Entdecker eines neuen Lifestyles spielen kann.
    »Jetzt bestelle ich euch noch eine italienische Spezialität.«
    Ich öffne unauffällig meinen Hosenknopf, bevor er wie ein Torpedo abgeschossen wird.
    »Jesusmaria … was ist das? So riesig? Ich kann nicht mehr. Ich platze!«
    »Wollen wir wetten, dass du es aufisst?«, sagt Marian.
    »Ich esse es auf, ich kann auch deins essen … wenn du nicht willst«, wendet sich Mutter an mich, als auch vor ihrer Nase die vierereckige Torte landet.
    »Was ist mit deinem Hungerstreik, Mama? Vorbei?«
    Ich lache. Glücklich sehe ich Mutter zu, wie sie gierig auf ihr Dessert starrt. Sie findet ihren Appetit wieder. Nicht dass es mit den Tortellini angefangen hätte, sie isst schon seit einiger Zeit viel besser, aber diese Restaurantbesuche geben ihr endgültig ein ausgewogenes Verhältnis zum Essen zurück.
    »War kein Streik, Leniçko, ich hatte einfach keinen Hunger, alles Nerven«, sie zerteilt mit der Gabel die weiche cremige Masse. »Hm … ausgezeichnet.«
    »Warum haben sie uns eine Gabel gebracht, Marian?«
    »Womit willst du das sonst essen?«
    Er schlürft seinen schwarzen bitteren Kaffee, der kaum zu sehen ist, so wenig ist davon in der Minitasse, und pult sich die Essensreste aus den Zähnen. Mit einem einzeln verpackten Zahnstocher. Ich komme aus dem Staunen nicht mehr raus.
    »Mit einem Löffel, würde ich sagen«, antworte ich besserwisserisch.
    »Schatzi, das ist eine

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