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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rena Dumont
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Wertvorstellungen stecken geblieben. Das Leben lang wären wir stecken geblieben. Wie Pavel, Drobina, Trubka, Jarek, Maria, Matëj feststecken und glauben, dass mit einer Flucht die innere Unzufriedenheit zu lösen ist.
    Wie die Ölsardinen sitzen wir in diesem Auto. Mark wild gestikulierend neben uns, Chris auf dem Beifahrersitz und Alev am Steuer. Gott sei Dank haben sich die Freunde genügend zu erzählen, sodass unsere Stummheit nicht so auffällt. Dass wir komisch sind, anders als die Mädchen aus ihren Klassen, die sich wild in die Wortschlachten zwischen den Geschlechtern werfen können, ist nicht zu übersehen. Das klebt an uns wie der Kuhfladen am Schuh.

IM ALTENHEIM GEHT ES LUSTIGER ZU, PROST
    »Das ist ein Helles«, erklärt Chris und drückt mir das Bier in die Hand.
    »Ein Helles«, plappere ich nach, wie so ziemlich alles, was man mir sagt.
    »Also Prost.«
    »Prost.« Und wir stoßen mit den Plastikbechern symbolisch an.
    »Wie sagt man auf Tschechisch?«
    »Na zdraví!«, antworte ich euphorisch und mir wird sogleich warm ums Herz.
    »Also, na zdraví!«
    Wir nehmen einen großen Schluck. Chris verschwindet wieder.
    Ich ekele mich vor meiner eigenen Alkoholfahne, greife in die Jackentasche und schiebe mir einen Kaugummi in den Mund. Das hätte ich nicht tun sollen. Ein Pfefferminz-Kaugummi verträgt sich nicht mit Bier. Egal, ich darf nicht nach Alkohol riechen.
    Lydia und ich stehen alleine in dieser improvisierten Schuldisco, einem kargen Klassenraum. Nicht gerade festlich ausgestattet. Die Musik, die ich nicht kenne, dröhnt unerträglich, sie gefällt mir überhaupt nicht. Ich sehne mich nach Duran Duran und nicht nach The Cure, das hier ständig läuft.
    Alle rauchen. Die Mädchen, fade angezogen, ignorieren uns, und die Typen kommen nur sporadisch bei uns vorbei. Lydia und ich, zu festlich gekleidet, tun so, als hätten wir uns viel zu sagen, was nicht stimmt. Es ist äußerst anstrengend, weil unsere Gesprächsthemen längst erschöpft sind. Na gut, da wir nun einmal da sind, müssen wir es bis zum bitteren Ende durchziehen, denke ich. Es gäbe trotzdem nichts Schöneres, als zu Hause mit Mutter gemütlich fernzusehen. Alles fühlt sich kalt und fremd an, wir verstehen niemanden, mit niemandem können wir plaudern und mit niemandem lachen.
    Die immergleichen Fragen, die uns gestellt werden, beantworten wir gut und knapp, aber darüber hinaus geht kein Dialog. Deprimierend. So trinken wir still das Bier, sitzen wie zwei böhmische Glitzerknödel auf unseren Hintern und langweilen uns. Mit Chris wechsele ich ab und zu einen Blick, wenn er mal da ist. Oft sehe ich ihn nicht. Mark ist ganz verschwunden, und Alev bechert exzentrisch viel. Ihm ist alles egal, er kriegt gar nichts mehr mit. Verschwitzt rekelt er sich auf der mickrigen Tanzfläche, nur die Panzerfrisur hält.
    »Es war wohl doch nicht so eine gute Idee, oder?«, sage ich schlecht gelaunt und beobachte dabei die Gestalten auf der Tanzfläche, die sich betrunken amüsieren.
    »Hm …«, antwortet Lydia.
    Mein Mund öffnet sich unfreiwillig, und ich gähne gründlich.
    »Ich bin auch ganz schön müde.«
    Lydia versteht mich offenbar nicht und fragt: »Waaas?«
    »Nichts.«
    Lohnt nicht, diesen Satz zu wiederholen.
    »Scheiße, wer fährt uns nach Hause?«, fragt Lydia mit einem Schlaftablettenblick.
    »Alev säuft. Der ganz sicher nicht. Wir haben ein Problem.«
    Lydia seufzt zart. Der Alkohol in mir wirkt. Ich sitze, merke, wie meine Beine tonnenschwer werden. »Eine Siebzehnjährige kann den Alkohol nicht dosieren, das muss man sich mit den Jahren individuell aneignen, den Körper kennenlernen, wie er darauf reagiert.«
    Das waren Pavels Klugscheißersätze. Der aufgeplusterte Gockel. Er glaubte, über alles Bescheid zu wissen. »Alkohol darf nicht gemischt werden«, sagte er.
    Da können also der Weißwein, den ich am Anfang der Party getrunken habe, und das Bier, das ich jetzt trinke, durchaus Schwierigkeiten machen. Für Pavel war Weißwein tabu. Die ganze Nacht kämpfte er sonst mit übersäuertem Magen. Also trank ich auch keinen. Und schlafen konnte ich nach nur einem Schluck Alkohol sowieso nicht. Der Verlauf dieser Nacht ist somit vorprogrammiert.
    Eine Woche vor unserer Emigration beging ich eine Dummheit. Drobina, Trubka und ich wollten ein bisschen feiern. Drobina wusste von meiner Reise ohne Rückfahrkarte, Trubka, die nichts ahnte, feierte einfach nur meinen Urlaub im Westen und hinterfragte sonst nichts. Wie immer.

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