Paradiessucher
Pavillon, eine Dicke hinter einer Dünnen, wie Dick und Doof. Die Dünne hielt die Flasche mit den schlanken Armen hoch über ihrem Kopf, Trubi kam auch dann nicht ran, als sie sie eingeholt hatte.
Wir lachten. Über jede Kleinigkeit lachten wir. Nach einer Weile, nachdem der Schweiß halbwegs getrocknet war, gingen wir gut gelaunt in die Disco. In Zeitabständen verabredeten wir uns im Pavillon und nahmen nacheinander einen Schluck von dem warmen, widerlich schmeckenden Spiritus.
Es dauerte nicht lange, bis ich den Überblick verlor. Ich sah Trubi nicht mehr, ich sah Drobina nicht mehr, ich sah gar nichts mehr, alles war wackelig und verschwommen, wie in Watte. Die Welt drehte sich, die Musik machte mich verrückt, und die Beine gehorchten mir nicht mehr. Jede Bewegung machte alles nur noch schlimmer. Der Spaß war vorbei.
Ich legte meinen Kopf in Pavels Schoß und spielte Leiche, schloss die Augen, betete zu Gott, dass das schwankende, äußerst unangenehme Gefühl in der Magengegend nicht schlimmer würde. Pavel saß bis zum Ende des Discoabends an der gleichen Stelle und stützte mich. Ich lag da, irgendwie bewusstlos, schwer wie ein Sack Kartoffeln.
Endlich verstummte die dröhnende Musik, alle Freunde und Bekannten waren im Begriff zu gehen, und ich befand mich immer noch im Alkoholkoma. Pavel hob mich einfach auf seine Schulter und wollte mich so nach Hause tragen. Undenkbar. Auf seiner Schulter hängend, am empfindlichsten Punkt meines Körpers zusammengedrückt, kopfüber hin und her schaukelnd wie ein erlegtes Wild, nein, das war genau das, was nicht ging.
War mir übel? Grässlich. Eine kleine Bande von Zigeunerkindern stand um Pavel und mich, die Volltrunkene, neckte uns und machte sich über uns lustig. An Weiteres kann ich mich nicht mehr erinnern. Der Abend gehört zu den weniger gelungenen, dafür aber zu den unvergesslichen. Eins weiß ich sicher, Wodka und ich werden keinen Pakt schließen, nie.
»Du, Lydia, ich muss mal …«, sage ich plötzlich lallend.
»Ich komme mit«, antwortet sie.
»Nein, bloß nicht, ich brauche kurz Ruhe und frische Luft.«
»Ich auch.« Sie erhebt sich ebenfalls.
»Bitte lass mich, Lydia, wenn du noch ein Wort sagst, dann passiert noch was ganz Peinliches, mir ist nämlich total schlecht.«
Ich gehe schnellen Schrittes aus dem Raum hinaus, kümmere mich um niemanden, sehe niemanden, will mich nur ein bisschen bewegen und frische Luft einatmen. Je näher ich dem Ausgang komme, desto schneller laufe ich, die letzten Stufen renne ich sogar.
EIN NOTARZT MIT DER BESTEN REZEPTUR
Welch ein Segen, die frische Bergluft einzuatmen, welch ein Segen, die Stille zu hören. Das Summen der schrillen Musik klingt mir im Ohr nach. Soll es, halb so schlimm, wenn ich nur die Übelkeit ertrage. Der Schnee leuchtet wunderschön und macht das Schulgelände sichtbar. Wie unzählige Diamanten. Ich gehe geradeaus, habe immer noch Angst, mich zu übergeben, klappere mit den Zähnen. Es sind bestimmt Minusgrade, aber ich bin froh, alleine und hier in der Kälte zu sein. Plötzlich höre ich Schritte hinter mir. Ich beschleunige in Richtung Straße, in die Dunkelheit, weg von der Schule, um nicht in betrunkenem Zustand von irgendeiner Pissnelke oder von Lydia ertappt zu werden. Die Schritte hinter mir klingen ebenfalls nach einer Beschleunigung, so drehe ich mich fast erschrocken um, mit einer gezielten Verfolgung habe ich nicht gerechnet.
»Lydia, lass mich bitte endlich allein!«, rufe ich in meiner Muttersprache. Niemand antwortet. Sie ist es nicht. Statt Lydia erkenne ich, vom Schnee und Mond beleuchtet, eine hell gekleidete Figur. Eine männliche Figur. Mehr nicht. Bilde ich mir das nur ein? »Hallo?«, rufe ich mit tiefer Stimme, damit sich mein Gegenüber auch ein bisschen fürchtet.
»Warte!«, ruft eine Stimme auf Deutsch. Die Stimme kenne ich. Diese Stimme kenne ich gut. Ich kann sie aber nicht einordnen. Plötzlich durchströmt mich ein neuer Energiestoß, durch und durch, denn wenn ich mich nicht irre, klingt die Stimme nach Chris. Ich stehe da wie eine angewurzelte Möhre, zittere vor Kälte und schaue meinen Traummann an, wie er sich mir nähert. Er kommt, sagt nichts, oder vielleicht sagt er etwas, ich nehme es nicht wahr, er berührt mein Kinn, bettet es in seine Hand und küsst mich.
Ein warmer, vibrierender Impuls durchströmt alle alkoholisierten Nervenbahnen, bis zum letzten Atom meines Ichs. Eine neue Dimension, ein Planet der Sinne offenbart sich. Poesie vom
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