Paraforce 3 - Jagd auf einen Totengeist
Anekdote später einmal erzählte. Er verfolgte den Wortwechsel und erahnte Reimanns Absicht. Der Lauf der Waffe verschwand von Mannhoffs Schläfe und er konnte aus den Augenwinkeln erkennen, dass Reimann nun auf den Kriminalhauptkommissar zielte, der neun oder zehn Meter entfernt stand und eine gute Zielscheibe auch für einen ungeübten Schützen bot.
Mannhoff spürte instinktiv, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb und nahm all seinen Mut zusammen, der in erster Linie von purer Angst gespeist wurde. Ansatzlos wuchtete er seinen rechten Arm nach hinten und traf mit all seiner Kraft mit dem Ellbogen Reimanns Kinn. Mannhoff hörte das Knirschen splitternder Zähne und spürte einen Moment später in seinem Ellbogen einen Schmerz, der ihm Tränen in die Augen trieb. Gleichzeitig ließ er sich nach vorn fallen.
Er hörte den Schuss krachen und glaubte, seine Trommelfelle würden zerrissen. Die Zeitspanne, die er mit seiner Attacke schneller gewesen war, als das Projektil benötigte, den Lauf der Pistole zu verlassen, war nach menschlichem Ermessen nicht begreifbar, doch sie genügte, Crenz am Leben zu halten. Statt eines lebensgefährlichen Körpertreffers trug er lediglich einen stark blutenden Streifschuss am linken Oberarm davon.
Konnte Mannhoff nun auf seine Kollegen bauen, waren sie in der Lage, so schnell zu handeln, dass Reimann keine Gelegenheit hatte, sich auf die neue Situation einzustellen und sein Werk doch noch zu vollenden?
Während er benommen ins Dunkel robbte, vernahm er die Antwort. Fünf, sechs, sieben Schüsse donnerten los, sie klangen beinah wie ein einziger. Reimann stieß einen schrillen Schrei aus, der in ein Gurgeln, dann in ein ermattendes Stöhnen überging. Dann fiel er zu Boden; das Geräusch, mit dem sein Hinterkopf auf den Asphalt knallte, klang endgültig und verstörend in Mannhoffs Ohren.
Hektisches Geschrei überall, Fußgetrappel, das sich näherte, während die Welt vor Mannhoffs Augen nach und nach jegliche Farbe und allen Sinn verlor. Sein rechter Arm fühlte sich taub an, er konnte seine Finger nicht bewegen, was ihm neuerliche Angst einjagte. Gleichzeitig spürte er, wie ihm übel wurde.
Von all den Schüssen, die Reimann hatte einstecken müssen, waren mindestens drei Treffer beinah sofort tödlich. Er war bereits um ihn geschehen, als die Beamten mit gezückten Waffen näherkamen. Sein starrer Blick ging ins Nirgendwo, vielleicht folgte er dem Weg des flüchtenden Totengeistes.
Kriminalhauptkommissar Crenz saß mit verzerrtem Gesicht am nassen Boden und hielt sich seinen Arm, in dem der Schmerz pochte. Die Wunde blutete stark, aber er würde nicht daran sterben. Wie viel Glück er gehabt hatte, vermochte er nicht in Worte zu kleiden, und er schüttelte ungläubig den Kopf.
Man gab ihm gestenreich zu verstehen, dass der reglos am Boden liegende Attentäter tot sei; eine Nachricht, die Crenz wütend machte. Ein weiteres Opfer, dachte er, ein weiteres sinnloses Opfer, und es gab keine Möglichkeit, wie es zu verhindern gewesen wäre; zumindest nicht in der Kürze der Zeit. Seine Männer mussten schießen, als sich ihnen die Gelegenheit bot, er machte ihnen keinen Vorwurf; es bestand höchste Gefahr für sein und auch ihr Leben. Reimann hätte gewiss ein weiteres Mal geschossen, da gab sich Crenz keinen Illusionen hin.
Wie er es auch drehte und wendete, Crenz kam immer wieder zu dem Schluss, dass Stefan Reimann von Anfang an zum Tode verurteilt gewesen war. Wer vom Totengeist auserkoren war, blieb auf der Strecke. Wenn in dieser Schlussfolgerung etwas Tröstliches steckte, so entdeckte Crenz es in diesen Sekunden nicht. Der Geschmack der Schuld blieb bei ihm wie ein treuer Hund.
Er dachte an Ben Fuller und fragte sich, ob er anders gehandelt hätte. Es war eine rein hypothetische Frage, die zu keiner Lösung führte, aber Crenz genoss es, sich das Hirn darüber zu zermartern, während er seinen Leuten zusah, wie sie sich um den Leichnam scharten.
Mit einer fahrigen Geste fuhr seine blutige Hand über sein Gesicht, das sich trotz des Regens heiß anfühlte, als ob er Fieber hätte. Dies war eine bezaubernde Vorstellung: sich ins Bett verkriechen und die Decke über den Kopf ziehen. Nichts hören, nichts sehen, die Welt sich selbst überlassen.
Wie ein begossener Pudel saß Crenz auf dem kalten Asphalt der Straße, seine Kleidung war mittlerweile vollständig durchnässt.
Irgendwas vor sich hinmurmelnd suchte er in seiner Jackentasche sein Handy, fand es jedoch nicht.
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