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Paragraf 301

Paragraf 301

Titel: Paragraf 301 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Eggers
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wollte. Aber warum? Und: Brachte die PKK Leute, die keine Unterstützungsgelder zahlten, einfach um?
    Das Telefon klingelte. Der Versicherungsmakler berichtete, dass das Liether Schloss bei der Auxilium-Versicherung versichert sei, er habe bei der Liegenschaftsabteilung des Landkreises angerufen und vorgetäuscht, er wolle ein Angebot machen; die Sekretärin habe ihm alles verraten.
    »Besten Dank!«, rief Schlüter und legte auf. Er grinste grimmig in sich hinein und erinnerte sich an die gebleckten falschen Zähne des Giselbert von Brunkhorst-Rothenfels in der Konzertpause im Kultureum letzten November. Das schien unendlich lange her zu sein. Havelack, dachte Schlüter. Havelack.
    Er hörte, wie Angela den Türsummer betätigte. Das musste Zekiye Kaya sein. Warum kümmere ich mich um Leute, die mich nichts angehen?, dachte er. Er zog den Bierdeckel mit den Notizen Adamans aus der Schreibtischschublade, stellte ihn schräg gegen den Völkermordstein, lehnte sich zurück und las laut, mit verschränkten Händen, als handele es sich um ein Orakel: Osman Barut – Buchhandlung Inönü Bulvarı. Menez und Nuri Cengi, Ovacık. Besê Adaman, Tunceli, Sanat Sokak 5. Latsch Derisi 14.000. Gäjickßuju 20.000. Rothenfels.
    Dann nahm er seinen Stift und schrieb dazu: Auxilium-Versicherung. Und weiter, ums Eck herum: Buch. Bevor Adaman durch den Vorhang in die Küche des Bosporus verschwunden war, hatte er gesagt: Als ich das Buch geholt habe und dieser Rothenfels … Was zum Teufel hatte er damit gemeint?

32.
    Wenig später saß Zekiye Kaya vor Schlüters Schreibtisch, so wie er selbst auf der vordersten Kante des Stuhls, eine zerbrechlich wirkende Gestalt, in einen kokonartigen Mantel gehüllt, das Kopftuch eng geschlossen um ihr ernstes kleines Gesicht, sodass kein Härchen zu sehen war, nur der feine Flaum über der Oberlippe und die Augenbrauen, die stark waren wie die des Vaters, sie hielt eine Handtasche auf dem Schoß, die mit silberblauen und goldgrünen Pailletten verziert war.
    Sie wolle Emin Gül nicht heiraten, erklärte sie mit niedergeschlagenen Wimpern, sie wolle überhaupt noch nicht heiraten, sie wolle ihre Ausbildung als Hotelfachfrau abschließen und dann vielleicht wieder zur Schule gehen und Abitur machen und vielleicht noch studieren und danach einen Beruf ausüben, aber den Emin Gül, den wolle sie nicht heiraten, der sei ja manchmal ganz nett, aber um ihn zu heiraten, sei er bestimmt nicht nett genug, sie stelle sich vor, wenn sie mal heiraten würde, dann müsse ihr Mann irgendwie anders sein als Emin, ganz anders, aber ihr Vater habe angeordnet, dass sie ihn zu heiraten habe, sie aber habe ihrem Vater vorgestern, am Samstag, gesagt, sie wolle Emin nicht heiraten, und da habe ihr Vater einen Wutanfall bekommen, er habe sich vergessen, »er hat mich geschlagen, mit der flachen Hand ins Gesicht«, sagte sie und der Zorn blitzte aus ihren Augen, sie schleuderte Blitze wie ihr Vater, als er über die gotteslästerlichen Rotköpfe geredet hatte, und die junge Frau begann zu weinen, wischte sich die Augen mit dem Taschentuch, das sie aus ihrer fröhlich glitzernden Handtasche gezogen hatte, und als sie wieder sprechen konnte, erzählte sie weiter, ihr Vater habe sie eingesperrt, sie habe am Wochenende nicht aus dem Haus gehen dürfen und heute habe er sie noch nicht einmal zur Arbeit im Hotel Zum Wikinger gehen lassen, »das am Kultureum, wissen Sie, wir richten immer die Veranstaltungen aus«, er habe gesagt, ihr Vater, sie bleibe so lange zu Hause, bis sie seinem Willen folge, denn er sei ihr Vater und Allah habe ihm das Recht verliehen zu bestimmen, wen sie heirate, und er habe gemeinsam mit Güls Vater bestimmt, dass die Kinder heiraten würden, und wenn sie sich seinem Willen nicht beuge, dann sei er nicht mehr ihr Vater und ihre Mutter sei nicht mehr ihre Mutter, er werde sie zurück in die Türkei schicken, nach Sivas, »und da will ich unter keinen Umständen hin, ich kann ja nicht mal richtig Türkisch«. Ihre Mutter habe ihr nicht helfen wollen, sie stünde hinter dem Vater, und das, obwohl sie selbst gegen ihren Willen verheiratet worden sei, mit siebzehn schon, und obwohl er sie oft geschlagen habe, die müsste sie doch verstehen können, und doch lasse sie zu, dass die eigene Tochter das gleiche Schicksal erleide wie sie, das sei doch …

    »Ich bin aus dem Fenster geklettert«, schloss Zekiye Kaya ihren Bericht.
    »Ach du Scheiße«, seufzte Schlüter. »Und jetzt?«
    Sie zuckte mit den

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