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Paragraf 301

Paragraf 301

Titel: Paragraf 301 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Eggers
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zuletzt gehört hatte, als er das Urteil des Landgerichts in der Sache Kaczek gegen von Rönn gelesen hatte.
    »Was ist?«, fragte sie und stand kreidebleich in der Tür.
    Schlüter antwortete nicht, er starrte apathisch auf die Platte seines Schreibtisches.
    »Soll ich Ihnen einen Tee kochen?«, fragte Angela. »Oder … oder soll ich den Arzt …?«
    Schlüter schüttelte stumm den Kopf.
    »Gleich kommt diese Alevitenfresserin«, murmelte er, ohne aufzublicken. »Die Tochter von dem Kaya, in der Sache Gül. Irgendwas hat die. Aber wehe, die versucht, mich reinzulegen! Noch mal passiert mir das nicht.«
    In halb geschlossener Faust wog er den Stein.

31.

    Schlüter warf die Akte Kabitzke gegen Viehöfer auf den dringenden Stapel zurück, wo sie weiterreifen konnte, wies Angela an, Frau Kaya, wenn sie erscheinen sollte, ins Wartezimmer zu setzen und sämtliche Anrufer mit Ausnahme des Versicherungsmaklers abzuwürgen.
    Er zog Heyder Cengis Haftbefehl aus der Tasche, den er in der Haftanstalt eingesteckt hatte, faltete das giftrote Papier auseinander, legte es vor sich auf den Schreibtisch und dachte nach.
    Der Ermittlungsrichter im Notdienst am Wochenende war Jugendstrafrichter Vollmann gewesen, er hatte den Haftbefehl unterschrieben. Er pflegte seine Fragen an die Angeklagten selbst zu beantworten, indem er drei Varianten vorgab, und sie brauchten wie bei der theoretischen Führerscheinprüfung nur noch verbal die richtige anzukreuzen. Seine Verhandlungen waren quälend lang und eine schwere Prüfung besonders für geständniswillige Angeklagte, denn wegen Vollmanns richterlicher Monologe schrumpften wortreiche Geständnisse zu bloßem Nicken. Die kurzen Sätze des Haftbefehls verrieten davon nichts.
    Cengi hatte seine Identität preisgegeben und gestanden, mit dem Opfer Nr. 1 auf dem Baugerüst am Gebäude Nr. 24 im ehemaligen Kasernengelände von Hemmstedt in Höhe des 4. Stocks heftig gerungen zu haben, bestritt aber vehement den Vorwurf des Totschlags. Der Haftrichter unterstellte dem Beschuldigten Tötungsabsicht im Sinne des dolus eventualis, mit anderen Worten: Cengi habe den Tod des Kontrolleurs bei der Rangelei auf dem Gerüst zumindest billigend in Kauf genommen.
    Was die Ermordung Veli Adamans betraf, hatte man genug Fingerabdrücke von Cengi sichergestellt, um dringenden Tatverdacht zu begründen. Der Haftrichter hielt sogar den Verdacht des heimtückischen Mordes für begründet. Eine Tatwaffe hatte man offenbar nicht gefunden. Adamans Schädel war mit einem harten, stumpfen Gegenstand eingeschlagen worden, mit mehreren Schlägen, die die Schädeldecke durchbrochen und zersplittert hatten. Die Waffe konnte alles Mögliche sein, am ehesten ein Knüppel. Cengis eigene Verletzung erklärte man mit Adamans heftiger Gegenwehr. Aber etwas blieb unklar: Cengis Motiv. Welches Motiv sollte er haben?
    Jedenfalls genügten die Indizien für einen dringenden Tatverdacht und damit für einen Haftbefehl. Eine Haftbeschwerde würde ich nicht erheben, dachte Schlüter. Aber er hatte ohnehin kein Mandat mehr, er studierte dieses Papier schon ohne Erlaubnis, zu welchem Zweck?
    Schlüter schob den Haftbefehl beiseite. An die Ermittlungsakten würde er jetzt nicht mehr herankommen, nachdem Cengi ihm das Mandat entzogen hatte. Da war nichts zu machen. Er lehnte sich zurück, schloss die Augen und atmete noch einmal tief durch.
    Cengi hatte seinen Aufenthalt bei dem Bauern Heinsohn verschwiegen, offenbar wollte er ihn schützen. Aber warum hatte er den Toten am Abend des 3. Februar aufgesucht, im Dunkeln, ohne besonderen Anlass? Nur um ihn wiederzusehen? Und warum hatte er den Toten angefasst? Würde ein Unschuldiger nicht sofort davonlaufen, ohne etwas zu berühren? Wie benahm sich der typisch Unschuldige?
    Heinsohn hatte bei seinem Besuch heute Morgen einen entkräfteten Eindruck gemacht. Er hatte geredet wie ein Mann, der am Ende seiner Tage angekommen ist, mit flacher zittriger Stimme, mit nach innen gekehrtem Blick. Und von Cengi hatte er gesprochen wie von einem eigenen Sohn. »Ich bin jetzt allein«, hatte er am Ende gesagt. »Wieder allein.«
    Beide, Heinsohn und Veli Adaman, hatten sich sehr gesorgt um Cengi. Zu Recht?
    Und dann waren da noch diese PKK-Leute, von denen Cengi berichtet hatte. Sie hatten Geld von Adaman verlangt und angekündigt, wiederzukommen. Kein Wort darüber im Haftbefehl. Offenbar hatte Cengi auch das verschwiegen, entweder, weil Vollmann ihn nicht hatte reden lassen, oder, weil er es nicht

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