Paragraf 301
keinen versehentlichen, sondern einen vorsätzlichen. Abgesehen von – in die Türkei, ich bin doch kein …!«
Das Telefon klingelte.
»… Selbstmörder!«
Angela gab das Gespräch weiter. Herr Kabitzke fragte, ob die Versicherung in seiner Verkehrsunfallsache endlich gezahlt habe, die Frist, die Schlüter gesetzt habe, sei schon seit drei Wochen verstrichen, und er habe doch vorletzte Woche schon versprochen, umgehend die Klage zu fertigen. Schlüter versprach sofortige Erledigung.
»Es hilft nichts«, sagte er dann. »Ich muss arbeiten.«
Bei nüchterner Betrachtung war das Mandat Gül abgeschlossen, weil er gewonnen hatte, und das Mandat Cengi war abgeschlossen, weil Heyder Cengi ihm das Mandat entzogen hatte.
»Am Samstag ist übrigens die Hochzeit von Gül. Ich sollte Sie doch daran erinnern.«
»Ich weiß das, Herrgottverfluchtescheißenochmal!«, brüllte Schlüter und schlug mit dem Stein eine zweite Kerbe in den Tisch. »Das geht aber nicht! Da können wir nicht auch noch hin!«
Er atmete tief durch. Eins nach dem andern. Irgendeinen Vorwand musste es geben, diese Feier zu schwänzen. Zuerst aber würde er die Klage in der Verkehrsunfallsache abdiktieren. Das Leben ging weiter und die Kosten liefen. Schlüter ließ die Tasse stehen und verzog sich in sein Zimmer. Verkehrsunfälle waren seine Lieblingssachen. Man konnte Geld verdienen, ohne sich in kleinlichen Streitereien zu verfangen. Und man kam garantiert in keine Konflikte mit der Menschlichkeit. Verkehrssachen waren meistens rechtsschutzversichert, um die Gebühren musste man sich also keine Sorgen machen.
Er griff zum Diktiergerät und diktierte: »Machen Sie bitte eine Klage in der Sache Kabitzke gegen Viehöfer fertig. Beklagte sind erstens Lothar Viehöfer als Fahrer, zweitens Sylvia Viehöfer als Halterin und drittens die Auxilium-Versicherung, vertreten durch den Vorstand … Moment …«
Er nahm seine Brille ab, um das Kleingedruckte auf dem Briefbogen der Versicherung besser lesen zu können.
Er diktierte weiter: »Also, nehmen Sie auf, vertreten durch den Vorstandsvorsitzenden Dr. Robert Imhausen … Nanu …«
Schlüter senkte seine Nase noch tiefer über das Papier und entzifferte am untersten Rand die winzige Schrift:
Vorsitzender des Aufsichtsrats:
Freiherr Giselbert von Brunkhorst-Rothenfels
Er schob die Akte fort, lehnte sich in seinen Stuhl zurück und dachte nach. »Verdammte Hunde«, murmelte er. »Diese verdammten Hunde.«
Giselbert von Brunkhorst-Rothenfels, der Mann, in dessen Scheune die Möbel aus dem Schloss gelandet waren, die angeblich wegen eines Wasserschadens hatten entsorgt werden müssen, dieser Mann saß der Auxilium-Versicherung vor. Es war ausgeschlossen, dass es einen anderen gleichen Namens gab. Wäre doch interessant zu wissen …
Schlüter griff zum Telefon und wählte die Nummer des Versicherungsmaklers, über den er und Christa alles versichert hatten und der ihm schon manchen Rechtsschutzmandanten vermittelt hatte. Seit Schlüter einen komplizierten Regressprozess für den Makler gewonnen hatte, tat der alles für ihn. Schlüter bat ihn, herauszufinden, bei welcher Versicherung das Schloss Lieth derzeit versichert war.
Dann sog Schlüter die Büroluft tief ein und sammelte Kraft für seine letzte Aktion in Sachen Türkei: die Hochzeit. Danach würde das Land für ihn endgültig gestorben sein. Er ließ sich von Angela die Akte Gül bringen, suchte die Telefonnummer der Kayas heraus und wählte sie.
»Ja?« Eine ängstliche Frauenstimme.
»Schlüter hier. Der Rechtsanwalt. Frau Kaya?«
»Ja …«
»Ihre Hochzeit am Samstag, ich rufe deswegen an …«
»Ohh …«
»Ich möchte meine Frau und mich abmelden, ich habe eine Fortbildung in Celle an dem Tag, Notarfortbildung, wissen Sie, ist obligatorisch, ich kann also nicht und …«
»Ich will … ich muss mit Ihnen reden, ich …« Die Stimme verstummte.
»Haben Sie ein Problem?«, fragte Schlüter, und während er noch sprach, wusste er, dass er genau das nicht hätte fragen dürfen.
Schweigen. Atmen.
»Hören Sie mich?«
»Ja«, hauchte es, ängstlich und einsam.
»Was haben Sie für ein Problem?«, sagte Schlüter und spätestens jetzt war die Geschichte endgültig aus dem Ruder gelaufen.
Schweigen. Atmen. Knistern. Rascheln.
Was war mit der Frau los?
»Kommen Sie her«, sagte Schlüter plötzlich, bevor er weiter nachdenken konnte. »In mein Büro. Sofort.«
Er warf den Hörer auf und brüllte einen Urschrei, wie ihn Angela
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