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Paragraf 301

Paragraf 301

Titel: Paragraf 301 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Eggers
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Mülldeponie, die ihr gehörte, an den Landkreis verpachtet, und die Pacht sollte jährlich um fünf Prozent steigen, bis zum Ende aller Tage. Das, so hieß es aus dem Kreishaus, sei die übliche Kostensteigerung und nichts Besonderes. Deshalb hatten die Grünen sogar Dienstaufsichtsbeschwerde erhoben. Aber ob etwas dabei herauskommen würde? Schlüter behauptete, derartige Eingaben seien form-, frist- und zwecklos.
    Angela hatte alle Zeitungsartikel gesammelt und würde sie Schlüter vorlegen, wenn er wieder zurück wäre. Sie legte den Brief in einen leeren Aktendeckel und trank einen Schluck Salbeitee. Hoffentlich würde der Chef heil zurückkommen.
    Das Telefon klingelte. Kemal Kaya war dran, der Dönermann. Er müsse Schlüter sprechen. Er wolle ihn fragen, ob er wüsste, wo Zekiye sei.
    »Er ist noch nicht zurück«, antwortete Angela.
    Wie lange er noch fort sei, fragte Kaya und Angela wiederholte, was sie Kaya schon vorgestern gesagt hatte. Die Geschäftsreise dauere voraussichtlich noch bis Mitte nächster Woche.
    Kaya war damit nicht zufrieden, er legte grußlos auf.
    Hoffentlich habe ich alles richtig gemacht, dachte Angela. Es war schwierig, alles allein entscheiden zu müssen.

39.
    Rasch hatte sich Schlüter umgedreht und war abgetaucht in eine Seitengasse, in der es keine Läden mehr gab, sondern nur noch verschlossene Türen in langen Mauern und Jungen, die ihm nachstarrten und »What’s your name?« riefen. Hatte Gül ihn auch gesehen? Natürlich hatte er ihn gesehen. Ein ältlicher Mann mit silbernem Haarkranz, gekleidet in einen hellen Mantel aus einem Hemmstedter Herrenbekleidungsladen musste in dieser anatolischen Stadt auffallen. Schlüter verfluchte seinen naiven Vorwitz, der ihn getrieben hatte, allein den Kundschafter zu spielen.
    An der nächsten Ecke nestelte er wieder den Stadtplan hervor, aber er fand keine Straßennamen an den Häuserwänden und wagte auch nicht stehen zu bleiben, um genauer nachzusehen. Er wandte sich aufs Geratewohl in irgendeine Richtung, wünschte sich Clever herbei, der den Weg zurück sicher gewusst hätte. Schlüter eilte durch Straßen und Gassen, die immer schmaler und staubiger wurden, mit wachsender Unruhe, schließlich mit Panik wie ein Kind, das sich verlaufen hatte, während die Erkenntnis in ihm wuchs, dass er alles falsch gemacht hatte: Ich hätte einfach weitergehen sollen, dachte er, wie ein Mann, der ein Ziel hat, nicht wie einer, der vor etwas davonläuft. Oder wenigstens hätte ich hinter der nächsten Ecke anhalten sollen, um zu beobachten, was Gül unternahm, ob er ruhig seinen Tee weitertrinken würde – dann wüsste ich, dass er mich nicht bemerkt hat –, oder ob er schnell davongehen würde – dann wüsste ich, dass er mich gesehen hat. Schlüter beschleunigte seinen Schritt und mit jedem weiteren entfernte er sich von der Möglichkeit, seinen Fehler zu korrigieren. Endlich las er wieder einen Namen an der Wand, konnte ihn aber auf dem Stadtplan nicht finden, die Buchstaben verschwammen vor der verdammten Gleitsichtbrille, wahrscheinlich brauchte er eine neue. Also lief er weiter, kreuzte Straßen, bog in Gassen ab, kehrte um, fand zurück in belebte Viertel, stand an Ampeln, in der ihn umgebenden Menge, spürte die gelben Blicke der Männer, die sich um ihn legten wie feine Seile, die seine hellen Haare taxierten, seine braunen Schuhe, seine weißen Hände, seine fremdländische Eile, er umklammerte den Völkermordstein in seiner Tasche mit schwitzender Hand wie eine Waffe, die ihn beschützen könnte, bis er sich schließlich nach langem Zickzack erschöpft auf dem Atatürk Bulvarı wiederfand, nicht weit von der Moschee, an der er vorhin abgebogen war. Er blieb stehen.
    »Guten Tag«, sagte jemand neben ihm.
    Schlüter fuhr zusammen, floh wortlos fort, der Blick des Mannes brannte in seinem Nacken, während der Ruf zum Vormittagsgebet von allen Minaretten scholl wie ein Fanal zur Verfolgung. Nehmt nicht die Ungläubigen zu Freunden!
    Als er wieder vor der Tür von Osmans Wohnung stand und auf den Klingelknopf drückte, war er dümmer als je zuvor. Hatte Gül ihn erkannt?
    Osman war fort in sein Büro, und Clever und Zekiye Kaya saßen noch beim Frühstück, wurden bedient von der Frau des Hauses. Sie forderte die Gäste auf, kräftig zuzulangen. Schlüter verehrte ihr den Honig und sie packte ihn sofort aus, um den Frühstückstisch zu bereichern.
    »Na?«, fragte Clever und steckte sich eine schwarze Olive in den Mund.
    Schlüter

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