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Paragraf 301

Paragraf 301

Titel: Paragraf 301 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Eggers
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schwieg, zuckte nur mit den Schultern und setzte sich, nahm sich Brot, beschmierte es mit Honig und aß.
    »Der beste türkische Honig«, prahlte er. »Wunderbar.«
    Fatma Barut füllte ihm das Teeglas und machte sich zu schaffen; die Kinder seien aus dem Haus, zur Schule, ließ sie Zekiye übersetzen. Sie werde nun einkaufen gehen, die Gäste sollten sich wie zu Hause fühlen, der Schlüssel stecke von innen, sie könnten ihn mitnehmen, falls sie in der Zwischenzeit gingen, und unbedingt zum Mittagessen wieder zurück sein.
    Als die Gastgeberin fort war, nahm Schlüter einen Schluck Tee und sagte so beiläufig wie möglich: »Ich habe Gül gesehen.«
    Zekiye Kaya fuhr hoch. »Wen haben Sie gesehen?!« Der halbe Bissen steckte ihr im Mund.
    »Gül. Emin Gül. Ihren – Verlobten.«
    Sie begann zu zittern. »O mein Gott«, sagte sie, »wie ist das möglich?«
    Clever steckte sich eine grüne Olive in den Mund, schob Schafskäse nach und sagte: »Ist wohl hergeflogen. Und gefahren. Wie wir.« Er nahm sich eine Tomate und streute Salz darauf. »Ich denke, die stecken ihn hier in den Knast, wenn sie ihn erwischen? Der muss doch wahnsinnig sein!«
    Zekiye Kaya ließ sich nicht beruhigen. »Sie wissen, dass ich hier bin«, lamentierte sie. »Sie müssen es irgendwie erfahren haben, ich habe gesagt, dass sie mich kriegen werden, und jetzt bin ich hier, wohin mein Vater mich, sie …«
    »Immer mit der Ruhe, junge Dame«, erklärte Clever und wandte sich an Schlüter. »Wer weiß, dass wir hier sind?«
    »Zwei Personen«, antwortete Schlüter. »Meine Frau und meine Angestellte. Sonst niemand. Und ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass Angela niemandem was gesagt hat. Sie hat noch nie was aus dem Büro rausgelassen.« Er überlegte. War es möglich, dass Kaya oder Gül im Büro angerufen hatten und Schlüter hatten sprechen wollen, wegen des Urteils, das sie in der Zwischenzeit zugeschickt bekommen hatten? Dass Angela ihnen gesagt hatte, er, Schlüter, sei in die Türkei gereist, nach Sivas? Ja richtig, er hatte ihr gesagt, sie würden von Malatya aus als Erstes nach Sivas fahren. Aber er hatte Angela auch eingeschärft, niemandem ihr Reiseziel zu verraten. Und wenn sie doch?

    Clever war aufgestanden, wischte sich den Tomatensaft an der Hose ab und sagte: »Dem werden wir sofort auf den Grund gehen. Yallah«, sagte er zu Schlüter. »Wir gehen.« Er drehte ab, holte seine Jacke von der Garderobe und war reisefertig.
    Auch Schlüter hatte seinen Mantel wieder übergestreift.
    »Wir können«, sagte er. Nun würden sie zu zweit sein. Ein Mann war stets zum Aufbruch bereit, eine Eigenschaft, die ihn fundamental von Frauen unterschied, die erst noch pinkeln und sich umziehen mussten, die Handtasche sortierten, Zettel schrieben, überlegten, was mitzunehmen sei …
    Zekiye Kaya sah gehetzt von einem zum andern. Sie stand auf. »Ich gehe noch eben zur Toilette«, sagte sie zweifelnd.
    »Sie bleiben hier«, bestimmte Clever. »Das machen wir allein.«
    Zwei Minuten später befanden sich die Männer auf dem Inönü Bulvarı, marschierten Richtung Gouverneurspalast, während Schlüter von seinem Erlebnis berichtete.
    »Da stimmt was nicht«, erklärte Clever grimmig und übernahm die Führung. Schlüter hatte Mühe, Schritt zu halten, lief hinter Clever her und fühlte sich alt.
    Der bekannte Weg bis zum Hotel Madımak war schnell zurückgelegt und nun verschwanden sie im Labyrinth der Gassen. Clever teilte mit dem schmalen Bug seines Leibes den Strom der Menschenmassen und Schlüter folgte im Kielwasser. Sie gerieten in die Gasse der Tischler, die in garagentiefen Höhlen arbeiteten, fertige Türen und Fenster lehnten an den Wänden, ein Einäugiger schob einen Vierkant über einen Abrichter, tief gebeugt über die heulenden Messer, es roch nach harzigen Spänen und Öl; in einer anderen Gasse hockten die Schuhmacher, klopften Leder, nähten Stiefel, es roch nach Leim und Wichse, in einer dritten hämmerten schwarze Schmiede vor rauchenden Essen auf glühende Eisen; in einer vierten wurden in winzigen Verschlägen Tücher und Stoffe, Geknüpftes, Gewirktes und Gewebtes in allen Mustern und Farben feilgeboten; in einer fünften lagen Teekännchen in Stapeln wie die Totenschädel der Killing Fields, riesige silberne Tabletts und Kessel, in den dunklen Tiefen der Buden baumelten Kellen, Besen und anderes hölzernes Gerät von der Decke wie Dschungelgewächse.
    Dann fanden sie die Markthalle, in der Achmed wohl immer noch Honig

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