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Paragraf 301

Paragraf 301

Titel: Paragraf 301 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Eggers
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Zimmer mit lauter Büchern und in dem Raum davor stehen zwei Sessel, so geschnitzte, die müssen auch noch mit.«
    Clever arbeitete mit Schukowski im Keller weiter. Schukowski hatte außer seinem Namen noch nicht viel gesagt, aber als sie das letzte Stück aufgeladen hatten, beschwerte er sich: »He, sag mal, wo bleibt der Kanake? Macht der sich ’n Lenz da oben oder was? Typisch!«
    »Kanake?«, fragte Clever. »Bist du was Besseres? Bist du vielleicht auch ’n Adliger, so wie die Tante aus dem Schloss hier, die jetzt tot ist?« Clever hatte einen Blick wie eine brünstige Kuh, egal, was er sagte.
    »Der soll hingehen, wo er herkommt!«, grummelte Schukowski.
    »Und?«, fragte Clever. »Wo kommst du her?«
    »Borsteler Fleth«, erklärte Schukowski unwillig.
    »So, so«, machte Clever. »Weltstadt! Und deine Eltern?«
    »Waren Flüchtlinge. Ostpreußen.«
    »Kanaken?«, fragte Clever. »Sollen die auch wieder hingehen, wo …«
    »Halt deine blöde Fresse!«, fuhr Schukowski auf. »Meine Eltern sind Deutsche!«
    »Da kannst du doch nix dafür«, grinste Clever. »Oder hast du dich selber weiß angestrichen?«
    Schukowski sagte nichts mehr.
    Der war wohl noch nie im Knast, dachte Clever. Denn dort hatte er seine Vorurteile verlernt. Es kam darauf an, wer einem half in der Not und wer einen im Stich ließ. Das konnte man von außen nie vorher sehen. Erst wenn man in der Scheiße saß, stellte sich heraus, wer Kanake war und wer nicht.

    Clever fühlte sich veranlasst, nach dem Rechten zu sehen, um seine Autorität zu wahren. »Ich geh mal gucken«, sagte er und stieg die Treppe in das Erdgeschoss hoch.
    Er fand Adaman in der Bibliothek am Tisch sitzend, vor einem dicken Buch, in das er seine Nase so tief gesteckt hatte, dass er nicht merkte, wie Clever sich hinter ihn stellte und ihm über die Schulter sah.
    »Was liest ’n da?«, fragte Clever, der sich nicht für Gedrucktes interessierte, abgesehen nötigenfalls vom Strafgesetzbuch und vielleicht der Bauarbeiterfrühstückszeitung mit den vielen Bildern.
    Weil er keine Antwort bekam, beugte er sich über Adaman. Die Buchstaben kannte Clever alle, aber ihre Zusammenstellung ergab keinen Sinn.

    »Verstehst du das etwa?«, fragte er ungläubig.
    Er bekam immer noch keine Antwort.
    »He, Mann, wir müssen los. Wir müssen auch noch abladen. Wird hell werden, bis wir fertig sind.« Er legte Adaman eine Hand auf die Schulter und drückte sie freundschaftlich. »Komm«, wiederholte er. »Bitte.«
    Veli Adaman stöhnte auf, als sei er geschlagen worden. Langsam erhob er sich, klappte das Buch zu und hielt es mit beiden Händen fest. Blieb unschlüssig stehen. Stieg endlich auf einen der Stühle, schob das Buch in die Lücke zurück und nickte Clever mit grauem Gesicht zu.
    »Ist dir nicht gut?«, fragte Clever. »Ich meine, brauchst du …«
    »Nix«, wehrte Adaman ab. »Schon gut.«
    »Wir nehmen nur die mit«, sagte Clever und wies auf die beiden Lehnstühle im Vorraum. »Der Rest soll hierbleiben.«
    Als sie unten ankamen, stand Schukowski neben dem Lkw und rauchte ungeduldig. »Wird auch Zeit«, brummte er und warf Adaman einen wütenden Blick zu.
    Sie schoben die beiden Stühle auf die Ladefläche und Schukowski ließ die Hebebühne hochfahren.
    »Ich schließ unten ab«, sagte Adaman zu Clever. »Hast du den Schlüssel?«
    Clever versenkte seine Rechte in der Hosentasche und förderte ein silbernes Ding zutage. »Hier«, sagte er.
    »Fahr gleich lieber mit mir«, bot Clever Adaman an und wies auf einen zerbeulten Pick-up, den Adaman vorher nicht beachtet hatte.

15.
    Er folgte den Bahnschienen und sprang von Schwelle zu Schwelle. Sie mussten ihn zum Ziel bringen, denn vorgestern, als sie die Möbel aus dem Keller geräumt hatten, hatte er die Züge vorbeirauschen hören. »Das ist der letzte von Hamburg«, hatte Clever erklärt, bevor sie sich die Gurte angelegt und den schweren Flügel auf die Rampe des Lastwagens gezogen hatten.
    Kalt glitzerten die Schienen im matten Licht der Nacht. Während Adaman versuchte, auf den eisernen Schienen einen rhythmischen Tritt zu halten, damit er möglichst wenig auf knirschenden Kies trat, überlegte er noch einmal, ob es richtig war, was er sich zu tun vorgenommen hatte. Hüte deine Zunge, deine Hand und deine Lenden, hieß es im weisen Buche Buyruk. Wer ein friedliches Zusammenleben aller Menschen wollte, orientierte sich an diesem Gebot, und Veli Adaman hatte daran jede seiner Handlungen geprüft, seit er sich zu den

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