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Paragraf 301

Paragraf 301

Titel: Paragraf 301 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Eggers
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wenn er auf Mallorca war. Schukowski ließ das Industriegebiet hinter sich und fuhr geradeaus auf die Ostumgehung und über die Zugbrücke, unter der die Hemmau floss. Es war Ebbe, die Segelboote im Seglerhafen links von der Brücke klebten im Schlick. Auf den Straßen war nichts los, die Leute waren an diesem 1. Januar 1995 früh zu Bett gegangen, um den Silvesterrausch auszuschlafen.

    Als in Lieth die Einfahrt zum Schloss in Sicht kam, drosselte Schukowski die Geschwindigkeit und bog auf das Kopfsteinpflaster ab. Im Licht der Scheinwerfer tauchte das wuchtige Backsteingebäude auf, ein unförmiger Klotz, der mindestens dreistöckig war, Schukowski konnte das Dach nicht sehen. An dem Gebäude klebte ein Turm, in den eine breite Eingangstreppe führte.
    »Links vorbei«, sagte der Kanake.
    Der spricht ja, dachte Schukowski, und dann auch noch Deutsch. Das war bei den Kanaken nicht selbstverständlich. Meistens lernten die überhaupt kein Deutsch und verstehen konnten sie nur die Faust.
    Das Pflaster führte sie abschüssig links im Bogen um das Gebäude herum und endete in einem Wendeplatz vor der Kellertür.
    Dort wartete seit einer halben Stunde Paul Clever und bewunderte den Sternenhimmel, während er überlegte, ob das jetzt ein legaler Job war oder nicht. Aber er brauchte Geld und durfte nicht wählerisch sein. Dreihundert Mark auf die Hand, inklusive. Feiertags- und Nachtzulage, wer konnte da widerstehen? Der dicke Meschkat hatte Clever herbestellt auf abends um zehn Uhr und ihm alles erklärt. Zusammen hatten sie noch einige Sachen in den Keller geräumt. Dann war der Dicke wieder abgehauen; er hatte einen Möbelhunt dagelassen.
    Als der Lastwagen über das Kopfsteinpflaster rumpelte und quietschend vor Clever zum Stehen kam, war der erste Tag des neuen Jahres schon vorbei. Der Motor starb, das Licht erlosch und zwei Gestalten stiegen aus, eine große vom Beifahrersitz und eine etwas kleinere, der Fahrer.
    »Wir sollen das hier einladen«, sprach Clever ins Dunkle und klappte seine langen Arme zum Keller hin aus. »’n Abend, Veli«, sagte er.
    Als Clever den Mann aus der Türkei vor zwei Jahren das erste Mal gesehen hatte, hatte er gleich erkannt, dass er einen Erniedrigten und Beleidigten vor sich hatte, so wie er selbst einer war. Veli war ein harter Arbeiter, sehnig, ausdauernd, vor allem aber: schweigsam. Clever mochte solche Typen.

    Veli Adaman brannte sich eine Zigarette an und das Feuerzeug warf seinen kleinen Schein auf sein Gesicht.
    »Und du?«, wandte Clever sich an den Fahrer, der mürrisch dastand und lange Blicke in das nächtliche Zwielicht über den Marschniederungen der Elbe warf. »Ich heiße Clever. Wie schlau. Heißt du auch irgendwie?«
    »Schukowski.«
    Clever drehte sich um und schob die Kellertür auf. Stand scharf und schmal in dem kalten Licht der Neonröhren, das ein helles Trapez aus der Nacht schnitt. »Alles klar, Jungs. Lasst uns anfangen. Zuerst die großen Sachen, die Platz brauchen. Steht schon alles hier unten. Später noch ein paar Kleinigkeiten aus dem Erdgeschoss.«
    Schukowski ließ die Hebebühne des Lkw herunter. Der Laster trug keine Firmenaufschrift.
    Der Keller war ein tiefer Schlund mit niedriger gewölbter Decke, Clever bückte sich, damit er nicht anstieß; unter dem Kalk an der Wand konnte man Feldsteine ahnen. Der hell erleuchtete Raum stand voll mit komischen Möbeln, über einige hatte der dicke Meschkat Clever begeisterte Vorträge gehalten; er schien sich auszukennen mit Antiquitäten, aber Clever hatte die Hälfte schon wieder vergessen: Sofas, riesige Ausziehtische, Kommoden, Schränke mit Portalen und Säulen, Ritterstühle mit ledernen Lehnen und gedrechselten Beinen, Fauteuils mit Löwenkopfschnitzereien, Chaiselongues, mit mächtigen Schlössern und schwarzen Beschlägen versehene Truhen, dünnbeinige Sekretäre mit Geheimfächern, verziert mit ebenhölzernen Intarsien, breite Büfetts mit Türen aus Walnusswurzelholzfurnier.
    Sie schufteten und zuletzt schafften sie ein Klavier mit drei Beinen an Bord, ein schwarzes dreieckiges Ungetüm auf winzigen Rädern, für den der Hunt zu klein war, sodass sie nur ein Rad draufstellen konnten und den Rest heben mussten, Clever das eine Bein und die beiden anderen das andere. Auf dieses Instrument hatte Meschkat besonderen Wert gelegt und Clever angewiesen, vorsichtig damit zu hantieren.
    Später, als der Keller so gut wie leer war, schickte Clever Veli in das Erdgeschoss. »Sieh mal nach, da oben ist ’n

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