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Paragraf 301

Paragraf 301

Titel: Paragraf 301 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Eggers
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»Chopin.«
    Dann blies sie die Kerze aus. Der allwissende Mond schickte sein fernes Licht und übergoss den Raum mit feinem kühlem Silber.
    »Sonntag ist Halbmond«, sagte Clever. »Zunehmend.«
    »Ja?«, sagte sie.
    Sie kniete neben ihm vor dem Bett. Für den Mond interessierte sie sich offenbar nicht die Bohne.
    »Magst du mich lieben?«, fragte sie und hielt ihm ihr Gesicht entgegen.
    Clever schluckte und sie führte seine zittrige Hand an den Reißverschluss. Mein Gott, dachte er, als er den großen Klunker spürte und das Weiche darunter. »Ja«, sagte er.
    Das Mondlicht war so alt wie das, was sie tun würden. Langsam zog Clever den Klunker abwärts und dann musste er vor Aufregung die Augen zumachen, aber als sie zu waren, musste er sie gleich wieder aufmachen, und was er da im Mondlicht schimmern sah, das war …
    Paul Clever machte sich auf die Wanderung durch das Land von Milch und Honig.

17.
    Schlüter war vom Gericht zurückgekehrt und hatte sich einen Tee gekocht. Zwei Damen hatte er heute geschieden. Zwei Urteile waren gesprochen worden. Man hatte auf Rechtsmittel verzichtet, die Urteile waren sofort rechtskräftig und vier Unfreie waren frei geworden für neue Sklaverei. Bei einer der Parteien lungerte der Nachfolger vor dem Gerichtssaal herum, etwas unsicher im gefährlichen Gelände, aber doch dem Ex frech ins Gesicht blickend. Sieh her, du Mistkerl, jetzt fick ich deine Alte. Der Mensch war Jäger, Sammler, Höhlenbewohner und es waren immer noch die niedrigen Instinkte, die die Welt zum Drehen brachten. Das war im neuen Jahr nicht anders als im alten.
    Schlüter schlürfte aus der großen Tasse, seufzte und bedauerte die Türken, die ihren Tee aus so winzigen Gläschen trinken mussten. Dann stand er auf, räumte seine Tasche leer, trug die Terminakten ins Schreibzimmer und entsorgte sie auf die Aktenschränke, von wo Angela sie in die Fächer hängen würde. Auf dem Posttisch lag die Ladung zum Termin in der Grabsteinsache: High noon am 31. Januar.
    »Die Vollmacht ist da«, erklärte Angela. Sie saß vor ihrem Computer, den Kopfhörer auf den Ohren. Sie schob Schlüter eine Akte zu und tippte weiter.
    Schlüter sah ihr über die Schulter. Angela arbeitete an dem Schriftsatz, der an den Kollegen Hümmelsee gehen sollte. Er hatte die Vertretung von Frau Rimmel übernommen. Frau Rimmel war, wie Schlüter seit Langem befürchtet hatte, der Unterhaltsprozesse müde geworden, suchte aber das Übel nicht bei sich selbst, sondern bei Schlüter, der sich mit Hümmelsee wegen der noch offenen Gebühren streiten musste. Selbstverständlich würde Frau Rimmel die nicht bezahlen, denn Schlüter habe sie schlecht vertreten. Das hatte man davon, wenn man zu lange der Streitsucht seiner Mandanten nachgab.
    Man sollte rechtzeitig den Riegel vorschieben und sich verweigern. Aber Juristen pflanzten von Berufs wegen ihr Interessenfähnlein mal auf der einen, mal auf der anderen Seite des Schützengrabens auf, mal auf diesem Hügel und mal auf jenem. Sie lernten die Beliebigkeit, bis sie sich nicht mehr abgrenzen konnten und krumme Dinger anfingen. Wie Hümmelsee, der seine Mandanten auspresste wie Zitronen. Der Beruf verdarb die Moral, wenn man denn welche gehabt hatte. Eigentlich müssten die Berufsgenossenschaften die Moralverderbnis der Rechtsanwälte als Berufskrankheit anerkennen, dachte Schlüter, man müsste dafür sorgen, dass niemand diesen Beruf länger als zwanzig Jahre ausübte. Früher hatten Leute wie Hümmelsee die Durchführungsverordnungen zu den Rasseschande-Gesetzen ausgearbeitet und Enteignungen jüdischen Eigentums geregelt, heute fuhren sie mit schwarzen Geländewagen bei Gericht vor, trugen einen Dreitagebart auf Kopf und Kinn und karierte Hosen, verwahrten ihre Akten im Kofferraum neben der Golftasche, berichteten freimütig von riesigen Umsätzen und schlossen niemals Vergleiche. Hümmelsee war inzüchtig mit einer Kollegin verheiratet, die einen Oldtimer fuhr, den sie ›mein Baby‹ nannte.
    Schlüter fiel ein, dass er diesen Beruf seit siebenundzwanzig Jahren ausübte. Wahrscheinlich war er längst selbst verrückt geworden.
    »Ach Scheiße«, sagte er. »Wenn Sie das fertig haben, geben Sie mir das zurück. Ich ändere da noch was.« Er hatte ziemlich giftige Sätze diktiert, hart am Rande der Beleidigung, und die wollte er entschärfen. Hümmelsee sollte nicht merken, dass Schlüter getroffen war. Zwischen den Zeilen sollte der kühle, unangefochtene Schlüter hervorzwinkern. Die

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