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Paragraf 301

Paragraf 301

Titel: Paragraf 301 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Eggers
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Fassade musste stimmen. Er stellte fest, dass er sich in der Weihnachtszeit nicht erholt hatte, und bei dem Besuch bei den Kindern in Oldenburg hatte er sich auch nicht entspannen können.
    »Die Vollmacht ist da«, wiederholte Angela.
    »Welche Vollmacht?«
    »Die von dem Türken, der letztes Jahr hier war. Außerdem hat der angerufen.«
    Angela berichtete, Adaman wolle dringend mit Schlüter sprechen, könne aber nicht in die Kanzlei kommen; ob Schlüter bereit sei, ihn auch an anderem Ort zu treffen, zum Beispiel in dem türkischen Restaurant gleich in der Nähe des Gerichts? Der Mann wolle sich wieder melden.
    Schlüter sah den großen Mann mit den weißen Haaren vor sich, der leicht gebeugt ging, aber ungebeugt schien, er sah die nagellosen Finger der verkrüppelten Hand. Was war passiert? Schlüter war sonst allergisch gegen derartige Ansinnen. Ein Rechtsanwalt und Notar war kein fliegender Teppichhändler, der seinen Geschäften unter freiem Himmel, in Dönerläden oder Kneipen nachging und die Preise aushandelte wie auf dem Großenborsteler Bockmarkt, sondern er residierte in seinem Büro, geschützt hinter einem papierbeladenen Schreibtisch, umgeben von Akten, ausgerüstet mit großformatigen Büchern und einem Computer, den Insignien von Wissen und Kompetenz. Die Leute hatten ihn aufzusuchen und streng nach der Gebührenordnung zu bezahlen.
    »Moment«, sagte er und verschwand in seinem Zimmer.
    Er fand Adamans Akte, in der nichts weiter lag als ein Zettel mit seinen Notizen und der Telefonnummer dieses Clever. Schlüter setzte sich in den Eichenstuhl und wählte.
    »Ja?«, meldete sich eine Stimme.
    Schlüter erkannte sie an diesen zwei Buchstaben wieder, die ruhige Stimme des Pfadfinders Paul Clever, den Schlüter schon drei Mal auf dem steinigen Weg in den Knast begleitet hatte, mehr als Seelsorger, weniger als Verteidiger. Zu verteidigen gab es bei Clever nie viel; er legte stets Geständnisse ab, bevor der Verteidiger auf der Bildfläche erschien.
    »Schlüter hier, der Rechtsanwalt. Sagen Sie ihm, um halb sieben bin ich dort. Danke. Sonst noch was?«
    »Nee, nich.« Kein Erstaunen, keine Frage.
    »Sonst rufen Sie an, okay?«
    »In Ordnung.«
    Schlüter legte auf. Ein Telefonat unter Männern. Ein Telefonat wie unter Drogendealern.
    Schlüter ging zurück ins Schreibbüro. Angela hatte den Schriftsatz fertig, er konnte überarbeitet werden.
    »Ich habe mich mit Adaman im Bosporus verabredet«, sagte er. »Heute Abend um halb sieben. Was der wohl hat.«
    Und dann machte er sich ächzend an die Diktate des Tages, bevor die nächsten Mandanten kamen: eine Erbausschlagung, die ihm zwanzig Mark einbringen würde, ein gesetzlich verordneter Samariterdienst; ein Verkehrsunfall und eine Kündigungsschutzklage. Und endlich der Schriftsatz in der Grabsteinsache gegen Rathjens. Heute lief die Frist ab. Man hatte nichts davon, wenn man die unangenehmen Dinge vor sich herschob.

    Er würde zu tun haben.

18.
    Das Bosporus befand sich nur einen Steinwurf entfernt vom Haupteingang des Landgerichts, ein schmalbrüstiges, baufällig wirkendes Haus aus roten Ziegeln mit schiefem Pfannendach, neben dem man durch einen schmalen Gang zum alten Holzhafen gelangte, in dem ein paar Hausboote vor sich hin moderten.
    Es war schon dunkel, als Veli Adaman das Portal aufzog. Er stand in einem langen Flur, an dessen Ende sich eine Tür befand mit der Aufschrift Privat. In den Gastraum führte die linke Tür. Er wusste das, denn er war nicht zum ersten Mal hier. Es war düster in dem Lokal, der Boden mit dicken orientalischen Teppichen bedeckt, die Fenster mit gelben Gardinen verhängt, auf den Tischen in warmen Farben gestreiftes Webzeug, das das matte Licht der kupfernen Lampen verschluckte, an den Wänden sarazenische Szenen zwischen Säulen und Meer. Das Lokal war menschenleer. Bis auf Cihan.
    Der stand hinter dem Tresen und grinste, ein Türke, der aus Sivas stammte und Alevit war wie Adaman, ein Mann, auf den er sich verlassen konnte. Cihan war gerade groß genug, dass er nicht hinter dem Tresen verschwand, und hatte ein rundes Gesicht unter einer Halbglatze mit Resten von schwarzen Haaren. Sie begrüßten sich leise und Adaman setzte sich an den kleinen Tisch in der Nähe des Tresens hinter eine Balustrade, die von giftgrünen künstlichen Blumen berankt war. Von dort hatte er die Eingangstür im Blick, ohne selbst gesehen zu werden. Er zündete sich eine Zigarette an.
    Cihan machte sich am Kassettenrekorder zu schaffen und

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