Paragraf 301
könne das aber nicht, weil das Klo, mit Verlaub, vollgeschissen sei. »Ich bin ja manches gewöhnt«, gallte sie. »Aber wenn ich das machen muss, dann kotze ich.« Sie war glaubwürdig bleich und schluckte trocken.
Schlüter gehorchte augenblicklich, denn Angela war traumatisiert; der Kollege Lükemeyer, bei dem sie vor langen Jahren Lehrling gewesen war, pflegte nach neuem Klopapier zu rufen, noch über einem dampfenden Haufen hockend, die winkende Hand im Türspalt. Sie musste es ihm reichen und nach vollendetem Geschäft beauftragte er sie mit der Lüftung, er habe vergessen, das Fenster zu öffnen. Wenig blieb geheim in dieser verschlafenen Provinzstadt an den Gestaden der Elbe.
Schlüter holte tief Luft, hielt den Atem an, betrat beherzt das Tatörtchen und hob, die Klobürste im Anschlag, den Deckel ein zweites Mal. Der Mann musste Durchfall gehabt haben.
»Sie können jetzt!«, rief Schlüter, als er fertig war und auf dem Flur wieder durchzuatmen wagte. In der Küche wusch er sich gründlich die Hände, ging zurück in sein Arbeitszimmer, stieß das Fenster auf und erholte sich in der scharfen Januarluft. Als er wieder arbeitsfähig war, öffnete er den grünen Aktendeckel, in dem nur die Strafprozessvollmacht und ein loses Blatt mit seinen Aufzeichnungen lagen, die er sich von dem Gespräch mit Heribert Witt gemacht hatte, dem Bauunternehmer und ehemaligen Arbeitgeber des flüchtigen Türken Heyder Cengi, der den behördlichen Kontrolleur vom Gerüst und in den Tod geworfen hatte. Witt musste sich wegen Schwarzarbeit und Verstoßes gegen das Ausländergesetz verantworten.
Der Bauunternehmer Heribert Witt war ein Mensch mit eingebauter Vorfahrt, wie man sie besonders unter Selbstständigen und Hilfsbedürftigen fand, die aus ihrem Leben den Irrglauben gezogen hatten, sie könnten alles entweder bestimmen oder umsonst bekommen. Heribert Witt wähnte sich im Mittelpunkt der Welt und glaubte, nur er würde ihre Räder drehen, während die Bürokraten auf den Bremsklötzen lagen und schliefen. Und es waren riesige Räder, die Witt drehte, Räder, die weltweit verzahnt waren, auch wenn er nur für Mauern und Putz zuständig war. Nach der Wiedervereinigung hatte man sich auf Abrüstung verständigt, Deutschland reduzierte seine Soldaten. Die Kommunalpolitiker stritten sich in diesem friedliebenden Land darum, wer die Soldaten behalten durfte, Hemmstedt verlor, die Kaserne wurde aufgelöst und die leeren Mannschaftsgebäude sollten zu modernen Wohnungen umgebaut werden. Der Bauträger Schütt GmbH & Co KG hatte den Anfang gemacht, dem Bundesvermögenamt drei der ehemaligen Mannschaftsblöcke abgekauft und die Umbauarbeiten ausgeschrieben. Witt hatte die Maurerarbeiten am billigsten angeboten und den Zuschlag bekommen.
»Ich bin so weit mit dem Preis runtergegangen, das kann normalerweise keiner. Die wussten ganz genau, dass ich das nur mit Leuten machen kann, die nicht angemeldet sind. Darauf spekulieren die doch sogar, und wenn ich das nicht mache, macht’s ein anderer, und der Generalunternehmer behält saubere Hände.«
Tja ja, so ist das, dachte Schlüter. Der Mächtige bleibt ein Ehrenmann. Aber er sagte nichts.
»Also, wissen Sie, Herr Rechtsanwalt«, schloss Witt seinen Bericht, »da gibt man sich Mühe und strampelt sich ab, aber alle werfen sie einem Knüppel zwischen die Beine. Was nützt das dem Staat eigentlich, wenn ich Pleite gehe und keine Steuern mehr zahle, dann hat da ja wohl keiner was von, oder? Ich kann nun mal nicht alle Leute normal bezahlen, wie es sich gehört und wie ich es auch gern täte. Dann wären meine Kosten zu hoch und ich hätte Preise, die keiner bezahlen will. Ich würde gar keine Aufträge mehr kriegen. Und wissen Sie, woran das liegt? Na?«
Erwartungsvoll, mit gebremstem Triumph in seinem fleckigen Mardergesicht, sah Witt Schlüter an und strich sich erst über den Schnurrbart und dann über seinen Bürstenhaarschnitt.
»Erst mal sind die Löhne viel zu hoch«, quengelte Witt, als Schlüter nicht antwortete. »Und das liegt an den Steuern. Was die Leute netto kriegen, ist noch nicht mal die Hälfte von dem, was ich brutto für sie bezahle, der Rest sind Steuern und Sozialabgaben. Das kann ich mir nicht leisten! Und bevor ich aufhöre, ist es doch besser, wenn ich den Türken da beschäftige, für den ist das doch viel Geld, der hat damit sein Auskommen – und gleich noch seine Familie in der Türkei mit, denen schickt er das Geld ja, das er verdient. Und ich
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