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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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konnte nicht anders sein, wozu sollte man sie dann mit ihren Pillen wiederbeleben, warum nicht besser die Ohnmacht. Aber sosehr sie versuchte, ihre Besorgnis lächerlich zu finden, die Todesfurcht blieb mächtiger. Jemand war in ihr, dessen Furcht größer war als die Belustigung über diese Furcht, und einzig damit hätte er sich darüber aufschwingen können. Es ging nicht, obwohl sie es immer wieder versuchte. Genau das Gegenteil geschah. Weil sie sich nicht lachend darüber hinwegsetzen konnte, fand sie sich von dieser elementaren Angst zutiefst gedemütigt, und auch ihr Vertrauen in den eigenen nüchternen Verstand verpuffte.
    Der nützte gar nichts, ihre Hände zitterten sichtlich. Auf ihrem Gesicht erschienen die zwischen Rot und Blass wechselnden, typisch umrissenen Flecken der nervösen Spannung, und auf ihrer Oberlippe saßen die kaum sichtbaren Tautropfen der Angst. Auch war nicht ganz einzusehen, warum es ihr nicht gelang, den Verschluss ihrer Handtasche aufzuklicken.
    Von dieser Frau, da kann ich noch so vertraulich mit ihr reden, darf ich nichts anderes erwarten als Heuchelei. In ihrer unterdrückten Wut riss sie sich die Handschuhe von den Händen. Es war ihr gleich. Schon früher hatte sie beobachtet, dass Gyöngyvér den Blick auf ihre Hände heftete. Wenigstens die hatten ihre ursprüngliche Form noch nicht verloren. Soll die junge Frau sie doch um sie beneiden. Am Rand ihres Bewusstseins nahm sie einigermaßen wahr, dass das, was sie jetzt gerade trieb, mit ihrem Herzen rein gar nichts zu tun hatte, dass es falscher Alarm war, forcierte Hysterie, dass überhaupt kein neuer Anfall zu erwarten war. Sondern dass bei ihr so viele verschiedene Spannungen miteinander im Widerstreit lagen, dass sie sich gleich nicht mehr würde beherrschen können.
    Dann ist es doch sein Tod, vor dem ich mich so fürchte. Und da habe ich mir eingeredet, er sei für mich schon lange tot, und was immer geschehen sollte, mich würde es nicht mehr erschüttern.
    Es gelang ihr schließlich, mit zitternden Fingern den Verschluss zu öffnen. Sie blickte auch kurz auf, um zu sehen, wo sie waren. Sie wollte nicht erschüttert sein. Sie waren noch weit vom Ziel entfernt. Ach Gott, wenn es bloß gelingt, ihn unterschreiben zu lassen. Erst jetzt kommen wir zur Margaretenbrücke. Sie verstand sich selbst nicht. Wieso produzierte ihr Körper vor der jungen Frau und wegen der jungen Frau eine solche lächerliche Hysterie. Ich bin tödlich eifersüchtig auf sie. Was brauchte sie die Anteilnahme, von wem auch immer, wozu sich von einer Fremden bemitleiden lassen. Auch darauf hatte sie keine Antwort.
    Und nicht einmal richtig in ihrer Tasche herumwühlen konnte sie. Zuerst musste sie den Kaufvertrag herausnehmen.
    Ich hingegen habe seit dem frühen Morgen eine solche Migräne, sagte Gyöngyvér mit klagender Stimme, mir ist richtig übel, der Kopf platzt mir fast.
    Überhaupt war es eine Tasche, in der man nie etwas fand. Dein Kopf mag ruhig platzen, mein Schatz, es ist sowieso nichts drin, dachte Frau Erna, es ärgerte sie, dass die junge Frau, statt Anteilnahme zu zeigen, sich selbst bemitleiden lassen wollte. Ein dummes Huhn bist du. Und was für eine primitive Seele. Eine flache Tasche in einem starken Metallrahmen. Seit kurzem Mode, der sie gern folgte, schon weil die Tasche sie an die ihrer Mutter erinnerte, die sie zu Abendgesellschaften und Bällen getragen hatte. Gyöngyvér hielt eine zum Verwechseln ähnliche auf ihrem Schoß. Auch das fand sie ärgerlich.
    Frau Ernas Tasche war aus dunkelgrauem Kalbsleder, wie ihre Schuhe, Gyönygyvérs Tasche hingegen war ein sogenanntes Negerbraun, eine höchst modische Farbschattierung, die ebenfalls mit ihren Schuhe übereinstimmte, wobei sie nicht aus Leder, sondern aus einem recht gelungenen Imitat bestand. Was als noch schicker galt als Leder. An solchen unbedeutenden Unterschieden ließen sich die Lichtjahre ermessen, die sie von der jungen Frau trennten. Die Mode der gelungenen Imitate erschütterte Frau Ernas Weltbild. Sie konnte sich nicht vorstellen, eine Tasche oder sonst etwas aus einem künstlichen Material zu besitzen. Überhaupt ist die Welt eine große Fälschung. Trotzdem müsste man aufpassen und das Gefälschte nicht zur Schau stellen oder wenigstens die eigene Falschheit verbergen.
    Woher um Himmels willen willst du dieses elende Medikament kennen, fragte sie einigermaßen gereizt, als sie es endlich fand und aus den Tiefen der Tasche die altsilberne Dose herausholte. Was

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