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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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Wasser, dieser vertraute, aber woher vertraute Strom.
    Leider habe ich am Nachmittag Gesangstunde, sagte sie heiser, was ziemlich seltsam wirkte, die Antwort kam reichlich spät, wirkte vielleicht auch beleidigend. Wenn es mir gelingt, Margit Huber abzusagen, fügte sie hastig hinzu, als hätte sie der Klang ihrer Stimme zur Besinnung gebracht, gehe ich gern mit in die Innenstadt.
    Sie hatte das Gefühl, sie habe sich geschickt aus der Affäre gezogen, geschickt die Anrede vermieden.
    Aber Frau Erna schaute sie gar nicht mehr an.
    Der Ton war falsch.
    Er verriet, dass ihr die Gesangstunde wichtiger war. Frau Erna hingegen kannte nur zwei furchtbare Extreme. Entweder verleibte sie sich den anderen ein, fraß ihn auf, ließ ihn nicht mehr los, hielt ihn im Würgegriff, oder sie betrachtete ihn aus drei Schritten Distanz, spöttisch und kühl, jeden kleinen Fehler einzeln ins Auge fassend. Jeden Irrtum. Jede kleine Schwäche. Als müsse sie sich auf diese Weise erklären, warum die Beziehung ihrer nicht würdig sei. Gib dir keine Mühe, mein Schatz, sagte sie für sich, während Gyöngyvér noch um ihre Gesangstunde herumredete, wie teuer es für sie sei, wenn sie nicht rechtzeitig absage.
    Es war peinlich und lächerlich.
    Und wo genau wohnt diese Margit Huber, fragte Frau Erna mit der gleichen unangenehmen Näselstimme, mit der sie vorher den Chauffeur instruiert hatte.
    In der Hajós-Straße, hinter der Oper.
    Ach so, sagte Frau Erna, als wäre damit die Sache endgültig erledigt.
    So wie sie auch mit Kristóf nicht viel Federlesens gemacht hatte. Wenn nicht, dann nicht. Es gab keinen Verrat, von dem sie nicht gleich zur Tagesordnung übergehen konnte, darin lag ihre Stärke. Zuneigung, Liebe, alles hat einen Anfang, und warum sollte es dann nicht auch enden. Vielleicht hatte es in ihrem Leben nur eine einzige verliebte Ausnahme gegeben. Wenn die ihr zufällig in den Sinn kam, erschauerte sie vor Freude und Schmerz. Etwas beständiger ist der Hass, leider, aber sogar der hört einmal auf. Gleichzeitig sah sie sehr wohl, dass ein solcher Relativismus nur in den Augen anderer als Stärke erschien, denn an seinem Grund blieb immer etwas Gewolltes, so arbeitet der von Ressentiment und Menschenhass erfüllte Affekt.
    Vielleicht wäre sie gar nicht herzkrank, wenn sie diese Schwäche nicht hätte. Jetzt sagte Gyöngyvér doch etwas, worauf sie eingehen musste.
    Höchstens kleine Kostüme gibt es von der Stange, sagte Gyöngyvér nachdenklich und freute sich, dass sie, während sie davon sprach, nicht Ágosts Körper in Frau Ernas Körper und nicht sein Gesicht auf ihrem Gesicht fühlen musste. Englische Kostüme kann man lange suchen. Nicht nur schwarze, überhaupt. Aber das englische Kostüm ist sowieso zu streng, nicht sehr weiblich. Wenn Frau Erna auf mich hören möchte, hat es auch keinen Sinn, eins machen zu lassen.
    Während der Wagen im Sturm an der Ampel wartete und vor ihnen ein fast leerer Trolleybus vorüberfuhr, beobachtete der Chauffeur sie im Rückspiegel, horchte, was sie redeten, fuhr etwas zu spät wieder an.
    Aber um Himmels willen, rief Frau Erna gereizt, wieso meinst du, ich möchte ein englisches Kostüm haben. So was Dummes habe ich wirklich nicht gesagt, wieso sollte ich auch.
    Bitte zu glauben, fuhr Gyönygyvér fort, jede Schneiderin kriegt ein gutes schwarzes kleines Kostüm in zwei Tagen hin. Meines Erachtens kann man das danach viel besser nutzen. Mit einer Bluse zum Beispiel, oder, was sehr schön ist, mit einem Stehkragenpullover. Wenn es ein guter Stoff ist, hat man damit einfach mehr Spielraum.
    Vielleicht hast du recht, erwiderte Frau Erna überrascht.
    Was brauchte sie diese Frau in so heikle Angelegenheiten einzubeziehen. Am liebsten wäre sie von ihr abgerückt, damit sich nicht einmal ihre Schultern berührten.
    Was Gyöngyvér da redete, war doch irgendwie beeindruckend und auch überheblich. Es war Frau Erna neu, dass das englische Kostüm passé, démodé war, sie hatte noch nie gehört, dass das englische Kostüm zu streng wäre. Was für ein Quatsch. Als wäre das etwas Bereicherndes, diese Erkenntnis über das englische Kostüm. Trotzdem tat es ihr gut, dass sich ihre Schultern berührten. Als habe sie den Zufall heimlich ausgenutzt. Durch Mantel, Pelz, Kleider hindurch strömte, was zwischen den behandschuhten Händen vorher unterbrochen worden war. Auch wenn es ihrer Selbstachtung gutgetan hätte, sich zurückzuhalten, sie vermochte es nicht. Die Berührung wirkte auf ihren

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