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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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Herzrhythmus ausgesprochen beruhigend.
    Nach ihren zwei morgendlichen Anfällen hatte das Medikament einigermaßen gewirkt, und ihrem Organismus tat auch gut, dass sich ihr Darm richtig geleert hatte, trotzdem waren in der Herzgegend immer noch Spannung und Unruhe, wozu die Nachricht aus dem Krankenhaus und der eilige Aufbruch beigetragen hatten.
    Eine fatale Kammerfibrillation war nicht mehr weit.
    Mir scheint, es kommt wieder ein neues Unwohlsein, dachte sie plötzlich und nicht grundlos. Das Ganze war schwächer, als es normalerweise einem Anfall vorausging, aber doch zu stark, als dass es ihrem auf Selbstschutz eingestellten Bewusstsein hätte gleichgültig bleiben können. Und auch wenn sie das Funktionieren ihres Organismus teilnahmslos beobachtete, konnte sie die Angst nicht unterdrücken. Diese Unruhe wurde von der unabsichtlichen Berührung ein wenig gemildert. Obwohl Gyöngyvérs Spannung über ihre Schultern übertragen wurde. Sie strahlte sozusagen unmittelbar aus ihrem Körper hinüber, da an ihr kein überflüssiges Gewicht oder Fett war.
    Frau Erna fühlte, wie Gyöngyvérs unerwartetes Glücksgefühl auf die Muskulatur ihres ängstlich gespannten Herzens ausstrahlte, worauf sich ihr Puls etwas verlangsamte, so dass Vorhof und Kammer nicht so krampfhaft arbeiten mussten. Auf diese Art löste die Nähe des anderen Menschen ihre Herzspannung, die sie seit Wochen als furchtbaren Seelenschmerz mit sich schleppte. Langfristig würde es natürlich nicht bei der Erleichterung bleiben. Jedes Gefühl, das von einem anderen Menschen ausgeht, und wenn es noch so angenehm ist, führt je nach Maß des Bedürfnisses zu einer neuerlichen, schon schädlicheren Reizung. Wenn du das Bedürfnis hast, dass ich dich beruhige, kann ich dir das gewähren, aber ich werde es auch zurücknehmen oder es dich abarbeiten lassen. Und dem Organismus ist völlig egal, ob man ihn dem Attentat des Angenehmen oder des Schmerzes aussetzt. Beides beantwortet er mit Erregung. Die Erregung beschleunigt den Puls, der Puls hebt den Blutdruck, das Angenehme hat einen genauso hohen Preis wie der Schmerz. Junge Menschen machen zwischen den beiden Rechnungen keinen Unterschied, der junge Organismus genießt sich selbst, wenn er spürt, wie das Herz der Lust oder eben auch der Gefahr hinterherhetzt.
    Der kranke Organismus hingegen bestraft, nach einer Weile heimtückischer Ruhe, Gefühlswallungen mit schwerer Atemnot. Nicht in dem Moment, in dem sich auf den Reiz hin die Erregung einstellt, sondern etwas später, wenn der Herzmuskel nicht mehr mitkommt bei dem, was der sich beschleunigende Puls, der sich hebende Blutdruck und der lokale Blutandrang verlangen. Er gibt Warnsignale, mit Beengung und Erstickungsanfällen, sobald nicht mehr bloß eine Schulter, die Lippen oder die sich mit Blut füllenden Lenden Gegenstand des Reizes sind, sondern die Gesamtheit des Körpers, von den Härchen auf der Haut bis hin zum Nagelbett; wenn das Herz selbst physisch in den Bann der Erregung gerät.
    Es hat zu wenige Reserven, um Zentrum und Peripherie gleichzeitig zu bedienen.
    Dann aber ist es zu spät.
    Gyöngyvér, mein Kind, plötzlich sprach es Frau Erna aus, mit einer vor Besorgnis um sich selbst heiser gewordenen flüsternden Stimme. Obwohl sie das wirklich nicht hatte sagen wollen. Gerade das hätte sie für sich selbst behalten wollen. Ich möchte dich nicht erschrecken, sagte sie, wirklich nicht, aber mir ist schon seit dem frühen Morgen nicht gut, und es ist besser, du bist vorbereitet. Wenn du siehst, dass mir unwohl wird, findest du hier in meiner Tasche das Medikament. Falls ich eine Schwäche haben oder ohnmächtig werden sollte, musst du es mir unter die Zunge legen.
    Ja, ich kenne das Medikament, antwortete Gyöngyvér trocken, als wolle sie es, und überhaupt das Ganze, rasch hinter sich haben.
    Auf ihrem Gesicht war keinerlei Schrecken oder Überraschung zu sehen, anders, als Frau Erna erwartet hätte. Höchstens wurde die geheuchelte Anteilnahme stärker, und die echte Neugier.
    Unter dem Vorwand, ihre Tasche öffnen und das Medikament suchen zu müssen, rückte Frau Erna auf dem Sitz rasch beiseite und ließ ein kleines Lachen hören. Wie um sich zu entschuldigen, dass sie auf ihr mieses kleines Leben einen solchen Wert legte. Was ja in der Tat ziemlich lächerlich ist. Nüchtern betrachtet wäre es viel angenehmer, in ohnmächtigem Zustand ins Jenseits überzutreten, als wach um sein elendes Leben zu zittern. Und wenn das so war, und es

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