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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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Fassaden der Häuser in der engen Altstadtstraße. Nur die Sonne drang ein wenig durch den Nebel hindurch, müde, silbrig. Im Saal war es kühl, völlige Stille. Im Kamin flackerte, wisperte und knackte kaum hörbar das Feuer.
    Geerte nahm ihr das Kind ab, um es nebenan ins Schlafzimmer zu bringen.
    Er sollte seinen Rülpser machen.
    Ich leg ihn auf den Bauch.
    Und decken Sie ihn gut zu.
    Auch die Worte erstarben wie in Watte. Unter den Schritten quietschte das alte Parkett, weinte fast; ein richtiger Widerhall in dem hohen Raum, unter den nachgedunkelten Balken. Sie sollte aufstehen. Das war ein eingeschobenes Stillen gewesen. Sie hätte schon längst außer Haus sein sollen. Aber das Kind hatte so gebrüllt, dass sie es nicht übers Herz gebracht hatte, es nicht zu stillen. Davon war ihr Körper erschlafft, nicht einmal mütterliches Pflichtbewusstsein vermochte sie zum Handeln anzuspornen. Als Geerte nach ein paar Minuten zurückkam, saß sie in derselben Stellung da. Die eine Brust aus der elfenbeinfarbenen Seidenbluse hastig hervorgeholt; das Banner des reichen Körpers. Sie trug einen dunklen, enggeschnittenen langen Seidenrock, der beidseits großzügig hoch geschlitzt war. Es wirkte etwas ältlich, wie sie dasaß, mit den Händen im Schoß. Ihr kastanienbraunes dichtes Haar war im Nacken in einem losen Knoten hochgesteckt und während des Stillens etwas heruntergerutscht.
    Geerte ließ sich wieder auf ihrem Stuhl nieder, nur für einen Augenblick, dachte sie, und sie rutschte mit ihm näher, ihre Knie berührten sich fast. Sie sahen sich an, lächelten kaum merklich. Das Lächeln schwächte die Blicke etwas ab, die den Körper der anderen abtasteten, sie kehrten aber auch immer wieder zu den Augen der anderen zurück und verweilten immer länger, sozusagen immer unpersönlicher darin.
    Ich möchte Sie etwas fragen, Geerte, ganz im Vertrauen.
    Fragen Sie nur, fragen Sie ruhig, Erna, was immer Sie wollen, antwortete die andere Frau mit leiser Stimme.
    Wenn Ihnen die Frage peinlich ist, brauchen Sie selbstverständlich nicht zu antworten, Geerte.
    Ich habe schon lange das Gefühl, dass ich vor Ihnen keine Geheimnisse zu haben brauche, Erna. Sie können kaum eine Frage stellen, die ich nicht gern beantworte.
    Ich möchte Sie seit Tagen fragen, wann Sie sich nach der zweiten Geburt, oder nach der ersten Geburt, oder einfach nach der Geburt, wieder Ihrem Mann hingegeben haben.
    Nie.
    Eine Weile war es still.
    Das heißt, fügte die andere Frau hinzu, nach der zweiten Geburt nie mehr.
    Mit einer so raschen und so eindeutigen Antwort hatte Erna nicht gerechnet. Sie dachte, nein, das kann nicht sein, dass also das Leben vorbei ist. So kurz sollte die Lust gedauert haben. Geertes rasche Antwort wirkte auf sie wie ein gut platzierter Gnadenstoß. Auch alles Vertrauen verflog. Das konnte doch nicht sein, dass nie mehr.
    Sie blickte befremdet, mitleidig auf diese Frau. Mit achtundzwanzig kann man doch sein Leben nicht abschließen. Unwillkürlich begannen ihre Blicke zu wandern. Sie mussten voreinander ausweichen. Als würde die Anstandspflicht sie lenken.
    Oder es war doch so, niemand hatte es ihr je gesagt, aber es schien doch so zu sein, da konnte sie noch lange zweifeln und protestieren. Sie musste es akzeptieren.
    Geerte trug ein hellgraues Hauskleid mit weißen Streifen und einem weißen, hochgeschlossenen Kragen. Sie wirkte darin wie eine absichtlich langweilig angezogene Studentin, die auch sonst nichts tut, um interessant zu erscheinen.
    Und doch war sie interessant.
    Eine Neigung zum Scherzen, ein auf Leichtsinn deutendes Zeichen ließen sich an ihr nicht entdecken. Wenn die so etwas sagte, stimmte es sicher. Sie presste die Beine in den dicken, grob gerippten Baumwollstrümpfen so eng zusammen, als hätte ihr jemand befohlen, sie solle sich jetzt aber anständig benehmen.
    Es ist, wie sie es sagt.
    Davon wurde die Stille gespannt, wieder musste Geerte das Schweigen brechen.
    Aber gehen Sie nicht so hinaus, Erna, so können Sie nicht auf die Straße, sagte sie mahnend mit tiefer, heiserer Stimme und zeigte auf die Bluse, die einen ziemlichen Milchfleck hatte.
    Sie müssen sich umziehen.
    Als hätte sie gerufen, bleib noch bei mir, Liebste. Sei nicht befremdet, was immer ich sage. Beide sprachen ein etwas schülerhaftes Deutsch, mit einem starken Akzent. Erna mit ihren offenen Vokalen, Geerte mit ihren aus der Kehle rollenden Konsonanten. Jetzt hatte sie deutlich den Eindruck, dass sie etwas falsch verstanden

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