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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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Wohnungen ein unangenehmes Echo verursachte.
    Na schön, ich glaub’s dir ja, du hast die ganze weite Welt gesehen, rief Gyöngyvér in dieses kalt widerhallende Lachen hinein, aber ich bin sicher, dass du zum Beispiel noch nie in der Tisza geschwommen bist.
    Mit dieser Ruferei mussten sie doch ein bisschen achtgeben, wegen der Hauptmieterin.
    Sie änderte ihre Stimme in ein scharfes, mit allerlei lockenden Kräften aufgeladenes Flüstern, ließ sie gewissermaßen schleifen, als hätte das Flüstern einen scharfen Grat, über den sie sich zog und schleppte.
    In einer einzigen Stimmlage zwei, drei widersprüchliche Schattierungen.
    Mir kannst du gestehen, dass du noch nie, nie in der Tisza geschwommen bist.
    Nein, in der Tisza bin ich tatsächlich noch nie geschwommen.
    Dann weißt du nichts von Wasser.
    Du wirst mich auslachen, aber die Tisza habe ich noch nicht mal gesehen.
    Da hab ich aber Glück, jauchzte Gyöngyvér, ich nehm dich zur Tisza mit. Zu meinen Zieheltern. Auf den Hof hinaus.
    Ich bin im Mittelmeer geschwommen, in der Nordsee, in der Adria, Abbazia war unser Stammplatz.
    Das ist nichts, Kinkerlitzchen.
    Ich bin im Atlantischen Ozean geschwommen, und auch in der Bucht von Marokko.
    Ach was, Bucht, Ozean.
    Wenn ich dich einmal an einen solchen Ort mitnähme, würde dir der Mund schon offen bleiben. Du bist in einem kargen, trostlosen Land geboren, liebe Gyöngyvér, wenn ich dich aufklären darf.
    Beweg dich nicht, bitte, ich bitte dich.
    Was tust du, der Mann stöhnte.
    Wie kann in dir so viel Hass sein, ich verstehe das nicht, wie haben wir Ungarn dazu beigetragen, ich versteh’s nicht.
    Wieso Hass, überhaupt nicht, nicht im Geringsten. Beweg du dich auch nicht, wenn ich mich nicht bewege.
    Das sagte er nur, um sein eigenes Stöhnen offen genießen zu können.
    Sag, mein Lieber, erzähle, was du so, so sehr, von mir spürst.
    Auf Ungarisch habe noch nie so etwas gesagt, nein.
    Aber jedem französischen Flittchen hast du ins Ohr geflüstert, was du mit ihm machst, jetzt mache ich das, jetzt mache ich jenes. Oder was du zu machen vorhast.
    Warum hätte ich es nicht flüstern sollen,
chuchoter
, merk dir das schön,
il me chuchote à l’oreille.
Sag’s mir nach.
    Bitte erzähl es mir auch so genau. Ich muss ja Französisch lernen.
    Das verstehst du noch nicht. Das ist weit über die zehnte Lektion hinaus.
    Zwei kleine gedehnte, echte Ausrufe entfuhren ihr.
    Du täuschst dich, das ist das Einzige, was ich verstehe, stöhnte sie, als sie ein wenig zu sich gekommen war, denn ihre barbarischen Schreie störten sie selbst. Sie hatte Angst, dass Ágost sie abstoßend finden könnte. Während sie die harten Nägel in seine Rückenmuskeln grub, zwang sie ihre Stimme wieder zu einem Flüstern. Sie wollte auf alle Bedürfnisse des Mannes eingehen, und so sang sie gewissermaßen eine Lage höher oder tiefer, zeigte sich einmal roher, dann feiner, als sie eigentlich war. Aber auch das hatte ein Ende. Eine tödliche Stille legte sich auf das widerhallende kleine Zimmer oder auf die ganze Welt, und sie musste hinhorchen.
    Sie hörte nicht, ob Frau Dr. Szemző noch weg war oder gerade nach Hause gekommen. In dieser tödlichen Stille zeigte sich die stumme Masse der verlorenen Zeit, auch wenn sie nicht wusste, an welcher Stelle sie sich gerade befanden, ob es vielleicht der vorangegangene Abend oder der Nachmittag des nächsten Tages war.
    Irrtum, keuchte sie, bloßer Irrtum, alles Irrtum.
    Es befreite sie, ihr eigenes Keuchen zu hören. Ihr dünner Körper zitterte, als würde sie geschüttelt.
    Nichts, du darfst nichts sagen. Als schlottere sie bei jedem ihrer Wörter. Dich auch nicht bewegen. Mein Irrtum. Jetzt schauspielerte sie nicht mehr mit ihrer Stimme, wollte keinem Bedürfnis mehr entsprechen und nach nichts aussehen. Er sollte sie vielmehr weit weg von hier bringen, bitte, rasch, heb mich auf, bring mich weg.
    Eigentlich hätte sie sagen wollen, sie sollten zusammen sterben.
    Auf dem schmalen, bei jeder Bewegung quietschenden Sofa in Gyöngyvérs Untermieterzimmer lagen sie erhitzt und schweißglitschig unter einer leichten Decke, von den Schenkeln des anderen in die harte Schere genommen, einander in die Arme geschmolzen. Die Frau zitterte. Und als könnte der Mann tatsächlich ihren Wunsch erfüllen, presste er sie wenigstens mit beiden Armen an sich, nahm sie so mit sich. In ihrer Seligkeit drückten jetzt beide krampfhaft die Augen zu, atmeten einen Moment lang nicht. Unter der Decke war das

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