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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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sollte ich das nicht verstehen, sagte die Frau ruhig, aber immer noch zitternd. Irgendein Auto, wegen dem du sofort in diesen wunderbaren Menschen verschossen warst. Der andere breitete sich vor ihr aus wie eine schweigende Tiefebene, wo nichts den Blick festhält. Das war sein Preis, sagte sie, und ihre Zähne klapperten ein wenig. Was ist da schon dran, klar versteh ich das.
    Von ihrer Hautoberfläche ausgehend erfasste das Zittern immer tiefere Regionen.
    Nein, nein, widersprach Ágost automatisch, trotzdem verstummte er einen Augenblick überrascht. Es überraschte ihn, wie scharfsichtig die Frau zwischen so entfernten, nicht wirklich ersichtlichen Dingen einen Bezug herstellte. Er empfand es wie eine lauernde, heimtückische Gefahr. Eigentlich empfand er es als roh, als indiskret, sein Geschmack wehrte sich gegen eine solche Direktheit. Sie verstand Dinge, von denen er nicht sprach, und wo war dann die Grenze zwischen ihnen.
    Ihre Gesichter lagen ganz nahe beieinander, eingegraben zwischen den aufragenden Ecken des Kissens, sie sahen nur gerade die Augen des anderen; beide starrten in gewölbte Augenbälle.
    Tatsächlich wurde er für mich wichtiger als mein eigener Vater, das stimmt. Von oben fiel etwas Licht auf sie, das, was die Zimmerdecke vom Sonnenuntergang reflektierte. Aber gerade das möchte ich erzählen, dass nicht ich, sondern die beiden einander verfallen waren, erwiderte er rasch, als müsse er sich herausreden.
    Ich habe im Leben schon viel gesehen, Ágost, mich überraschst du mit nichts, sagte die Frau lachend, und diese etwas theatralische Abgebrühtheit weckte in Ágosts Stimme ein nachsichtiges Lächeln, das seinen nächsten Satz begleitete.
    Und doch blieb ein unangenehmes Gefühl zurück. Diese Frau sah in etwas hinein, mischte sich in etwas ein.
    Sobald sie sich erblickt hatten, redeten sie schon, rasch, heftig, leise, immer deutsch. Mich ließen sie allein. Sie setzten mich auf den Hintersitz und vergaßen mich sofort. Stell dir einen sehr großen, sehr beleibten, sehr blonden Menschen vor. Wie alt mochte er damals gewesen sein, vielleicht achtunddreißig. Er hatte so dichtes, krauses Haar, dass sich seine Töchter daranhängten, und er zog sie daran hoch. Sie hingen einfach da, es gibt so ein ungarisches Gedicht, wahrscheinlich tat es ihm nicht einmal weh.
    Wie Früchte an einem Baum.
    Alles an ihm war stark, und das macht einem Jungen wirklich Eindruck. Massiv. Es war schön, ihn zu berühren, mit ihm zu ringen, er war wie Stahl, wie Stein. Sein Hals, seine Arme, seine Schenkel, man konnte seine Beine nicht von der Stelle rücken. Während er redete, spürte er, dass er das alles nicht erzählen würde, wenn Gyöngyvér es nicht wüsste. Sie weiß es. Klar, du hast schon recht, sein Auto gefiel und imponierte mir mindestens so sehr.
    Bei anderen Malen, mit anderen, war er nicht so redselig, während des Redens passt man sich ja unweigerlich an.
    Manchmal gingen wir alle vier auf ihn los, das war ein Spiel, aber man konnte ihn nicht zu Boden bringen, außer er ließ es zu, um seinen Töchtern eine Freude zu machen. Alles in allem war er ein aufmerksamer, geduldiger Mensch, wenn auch zuweilen ziemlich hysterisch. Wenn er wütend wurde, schrie oder brüllte er nicht, sondern kreischte wie eine Frau. Das verlieh ihm etwas Komisches. Kannst dir ja vorstellen, mit fünf Frauen zusammenzuleben. Wenn er kreischte, lachten ihn die Frauen einfach aus. Ich sah gleich, man sah es, dass er ein guter Mensch war, wie man so sagt, ein zuverlässiger Mensch, wirklich wunderbar, und wie sollte ich ihnen dann sagen, dass ich nicht hier in der Fremde bleiben wollte.
    Als ich klein war, konnte auch ich lange nicht sprechen. Man konnte mich nicht zum Reden bringen, sagte Gyöngyvér über sich selbst gerührt, obwohl die Mädchen doch viel früher, viel leichter sprechen lernen. Ich weiß nicht, fügte sie hinzu, bestimmt liebtest du die Bosheit deines Vaters. Dann verstummte sie gleich wieder, und Ágost hatte das Gefühl, er verliere sie im selben Augenblick.
    So war es auch.
    Sie war nicht nur verstummt, weil der andere noch sprach, sondern weil es wehtat. Immer noch. Der Schmerz verging nicht. Seit sie einander tagelang auf diese Art ins Gesicht redeten, kamen ihr lauter Dinge in den Sinn, von denen sie nicht gewusst hatte, dass sie sie noch in Erinnerung hatte. Das Erinnern an sich traf sie unvorbereitet, alle die Überraschungen, die ihr Kopf für eine solche Gelegenheit bereithielt.
    Noch immer tat es

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