Parallelgeschichten
sei, verwendeten sie große Aufmerksamkeit auf ihre Kleidung und ihr ausdauerndes Lächeln. Bis zum Morgengrauen wurden ihnen allerdings die Glieder schwer, die Schminke löste sich auf, in der Hitze des Gefechts zerzausten sie sich das Haar und dachten nicht daran, es zu richten. Dann war es auch überflüssig, noch von irgendetwas zu reden.
Sie sahen die anderen in aller Deutlichkeit, und sie schämten sich nicht.
Die Glaswand des weitläufigen Salons ihrer Freundin stand vom Frühling bis zum Herbst offen.
Angezogen von der phantastischen Aussicht, traten sie jeden Abend an die Luft hinaus, um durchzuatmen und ein paar vertrauliche Worte zu wechseln. Jetzt aber achteten sie nicht auf die Stadt, die mit dem Funkeln ihrer Lichter und Brücken kaum in ihren zerstreut schweifenden Blick zu dringen vermochte. Südwärts konnte man bis zum Gellért-Hügel sehen, im Norden schwebte jenseits der im Dunkeln versunkenen Insel der kalte Schatten der Árpád-Brücke über dem von Bogenlampen beleuchteten, metallisch schimmernden Fluss, dahinter kam nur noch das Ödland der Nacht. Die Ebene von Fót, wo im Dezember vierundvierzig zum ersten Mal die Mündungsfeuer der Artillerie zu sehen waren und man nicht wusste, ob man ihr Näherkommen mit Schrecken oder Freude erwarten sollte. Während sie leise vor sich hin sprachen und sich, sanft und gleichsam professionell lächelnd, bedenkenlos das Wort abschnitten, schweifte ihr Blick über die Hügel von Buda und ruhte manchmal auf den ferneren Gipfeln der weich ineinandergleitenden Höhenzüge.
Dort im Westen, wo später die Front abgezogen war, war noch ein letzter Schimmer von Abendröte, die die Masse der Hügel in dunkelblauen Dämmer tauchte; das Aufeinandertreffen von Hell und Dunkel zog den Blick an.
Der laute kleine Schlepper, der mindestens sechs aneinandergehängte, schwerbeladene Frachtkähne gegen den Strom zog, kam jetzt unter der Brücke zwischen den engstehenden Pfeilern der nahen Margaretenbrücke an, wo der Motorenlärm für kurze Zeit stecken blieb und sich so verstärkte, dass sie lauter reden mussten.
Wirklich eine hervorragende Idee, Mária, die Frau im Seidenkleid rief es fast, aber ich finde, wir sollten auf Irma warten. Wir könnten für sie eine kleine Feier arrangieren. Das Zitronenblütenfest oder so etwas.
In der offenen Terrassentür wartete der Kartentisch auf sie, darum herum die vier steiflehnigen und wohl nicht sehr bequemen Stühle, daneben der Teewagen, auf dem Mária Szapáry den Teller mit Gebäck abstellte, während sie erstaunt und misstrauisch den Blick zu ihnen hob.
Die Fayence klopfte stumpf auf die Glasplatte.
Ist irgendetwas, fragte sie. Bestimmt kommt ihr wieder mit einer unangenehmen Nachricht.
Auf der Terrasse blickten sich die beiden Frauen flüchtig an, ihr Lächeln gefror. Sie konnten voreinander nichts verheimlichen, nicht einmal, wenn sie es wollten. Und doch mussten sie Mária Szapáry die Dinge anders mitteilen, als sie es untereinander oder mit anderen taten.
Nein, überhaupt nicht. Es ist nichts, erwiderte die im Seidenkleid mit ihrer etwas verschleierten Stimme, was sollte schon sein. Wir denken nur gerade über etwas nach, das zufällig Irma betrifft.
Ich weiß gar nicht, was wir tun sollen, fügte die andere Frau hinzu, die wegen der starken französischen Zigaretten, die sie rauchte, oder aufgrund einer körperlichen Gegebenheit eine tiefe, etwas raue Stimme hatte, aber auch ein hinreißendes Lächeln.
Die vom Fluss her kommenden Lüftchen fuhren in die üppig vom Terrassengeländer hängenden, frisch gegossenen, zarten, lila und weißen Trichter der Petunien und schubsten den süßen Duft gleichsam in die Wohnung hinein. Mária Szapáry hätte es nicht so gern gehabt, wenn man ihr jetzt die Laune verdarb. Der Sommerabend war zu schön.
Der Petunienduft verdrängte den Leichengeruch nicht, den sie, sosehr sie sich auch Mühe gab, unweigerlich zu riechen meinte. Auch die Spannung der beiden anderen war spürbar.
Ich wäre euch verpflichtet, wenn ihr mich einweihen würdet, sagte sie, von ihrer eigenen Bereitwilligkeit etwas gereizt, als würde sie gleich ankündigen, lieber nicht, von ihr sollten sie keinen Rat erwarten. Dazu könne sie sowieso nichts sagen. Sie trug eine graue, weitgeschnittene Leinenhose, die über dem Bauch stark spannte, und gründlich ausgelatschte weiße Leinenschuhe mit Schnursohlen. Ihre weiße, langärmelige, bis zum Ellenbogen hochgekrempelte Bluse wirkte eher wie ein abgetragenes
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