Parallelgeschichten
pflegte, goss, dann aber, wie schon mehrmals vorgekommen, mitsamt den Wurzeln ausriss.
Die erste Spur seit Jahren, auf die sie gestoßen sei. Ich solle nicht denken, sie habe eine fixe Idee, aber das sei doch immerhin ein realistischer kleiner Anhaltspunkt.
Völliger Blödsinn ist es. Von wegen realistisch und Anhaltspunkt. Diese Frau, eure Erna da, hat vielleicht keine fixen Ideen, aber sie ist dumm. Sie macht sich völlig unnötig Illusionen, und das weißt du ganz genau, Médichen, sagte sie doch so laut, dass sie wenigstens Margit Hubers kräftige Stimme unterbrach.
Was soll ich denn machen, wenn sie mich darum bittet, sie beide zusammenzubringen. Auch meiner Meinung nach ist es Blödsinn, aber wie kann ich ablehnen. Von Berlin nach Ravensbrück ist es nicht mehr als eine Stunde. Von dort aber hätte sie zuerst nach Flossenbürg gelangen müssen, oder sonst irgendwohin. Das alles klingt unwahrscheinlich, das weiß sie selbst, sie hat es recherchiert, von einem solchen Transport keine Spur, aber sie will sich doch mit den eigenen Ohren davon überzeugen.
Das also hat sie gesagt, und mehr kann ich auch nicht sagen.
Wenn wir die beiden zusammenbringen, darüber haben wir schon gesprochen, weißt du, warf die im Seidenkleid ein, die weniger leicht über den Lärm hinwegredete, dann werden wir Irmuschlein nie mehr aus ihrem Loch herauszerren können.
Kann man nicht voraussehen, vergiss das nicht. Manchmal redet sie von sich aus, und dann kann man sie kaum abstellen.
Nein, nein, wiederholte unterdessen Mária Szapáry, unmöglich ist unmöglich. Nach zwanzig Jahren gibt es keine Spuren mehr. Machen wir uns nichts vor, meine Lieben, das Ganze liefe auf etwas Unmögliches hinaus. So ist das. Warum hast du nicht gesagt, pass mal auf, liebe Erna, ich verstehe dich, aber Irmuschlein erinnert sich an nichts. An gar nichts. Mach du dir da keine Sorgen, meine liebe Bellu. Wir brauchen sie nirgends herauszuzerren. Ich lasse nicht zu, dass sie sich an irgendetwas erinnert. Da ist kein Loch. Schluss. Nach zwanzig Jahren braucht man sich nicht zu erinnern.
Rechnen war noch nie deine Stärke, Mária. Bleiben wir bei fünfzehn.
Na schön, aber was sollen wir dann tun, fragte die im Seidenkleid erschrocken, genau das haben wir uns ja überlegt.
Ach, ihr seid doch lächerlich.
Ich will es dir sagen, Belluchen, sagte Mária Szapáry, deutlich artikulierend, als spräche sie zu einer Schwachsinnigen.
Auch in jüngeren Jahren war sie nicht schön gewesen, hatte aber mit ihrem Lächeln und der Kraft, die aus ihrem Körper strömte, viele Eroberungen gemacht. Mit ihren gesunden schönen Zähnen, den entschlossen geschwungenen Lippen, der gewölbten, leuchtenden, das ganze Gesicht beherrschenden Stirn.
Wir gehen in die Küche und machen den Gin Fizz. Das können wir tun, und wie du vorgeschlagen hast, feiern wir Irmuschlein zu Ehren das Zitronenblütenfest oder Kürbisblütenfest, oder was immer.
Mit diesen Sätzen vermochte sie aber ihre brodelnde Wut nicht zu bremsen, die gegen die anderen gerichtet war, aber auch etwas Selbstzerfleischendes hatte. Die Wut brach aus, sprudelte aus der Tiefe herauf, vom Lachen blieb ein fürchterliches Grinsen zurück, außer sich begann sie zu schreien. Was die beiden anderen höchstens wegen der Heftigkeit erschreckte.
Für einmal haltet ihr den Mund. Verstanden? Ich lasse nicht zu, dass ihr in diesem Höllenlärm wie wild herumbrüllt.
Niemand hat gebrüllt, entschuldige mal.
Und es braucht auch keine Erlaubnis dazu.
Ist es so schwer zu verstehen, dass ich diesen Lärm nicht ertrage, fragte sie zischend. Und ihr werdet schön tun, was ich befehle, ich hoffe, das ist klar.
Damit wandte sie sich auf dem Absatz um und lief auf ihren Schnursohlen mit dröhnenden Schritten durch die große Wohnung. Vielleicht hätte sie die Türen, wären nicht alle offen gewesen, eingebrochen, mit dem Kopf eingerannt. Und sie beide, worüber sich Margit Huber aufregte, laufen ihr wie die Schafe nach. Vorn die Verschreckte im Seidenkleid, die von Mária Szapáry besonders dann meine Liebe und Belluchen genannt wurde, wenn sie auf ihre geistige Beschränktheit aufmerksam gemacht werden sollte. Mit vollem Namen hieß sie Izabella Dobrovan. Die von ihrer Sprache eingenommenen Ungarn taten beim Hören ihres Namens oft verständnislos, woran sie seit früher Kindheit gewöhnt war. Ihre Muttersprache war Slowakisch, sie hatte immer noch einen Akzent, den man aber nur bemerkte, wenn man wusste, dass sie keine
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