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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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Männerhemd. In ihrer nachlässigen Erscheinung lag etwas betont Männliches, Starkes und Freies, oder zumindest etwas nach alltäglichem Verständnis demonstrativ Unweibliches. Als hätte ihre Umgebung nie irgendwelche Zwänge auf sie ausgeübt. Keinerlei Schmuck, keine Schminke. Sie machte nur gerade einen Schritt auf sie zu. Die sollten bloß nicht glauben, sie wolle alles wissen. Für ihr stark ergrautes, kurzgeschnittenes und in der Mitte gescheiteltes Haar hatte sie zwei rasche Bewegungen, sie strich es sich immer wieder aus der Stirn und klemmte es sich hinter die Ohren, damit es ihr nicht ins Gesicht fiel, was es sofort wieder tat. Das war vielleicht das einzig sichtlich Zwanghafte.
    Sie wollte nicht mehr wissen als die Höflichkeit erforderte.
    Falls dir der Name Erna Demén etwas sagt, bemerkte von der Terrasse her mit tiefer, rauer und durchdringender Stimme die feierlich aufgemachte Freundin mit dem ansteckenden Lächeln, um ihre überraschend schlanke Taille trug sie einen feuerroten Ledergürtel, Margit Huber hieß sie, von den anderen Médi genannt.
    Aber ja, rief Mária Szapáry überrascht. Falls wir an dieselbe Trödlerin denken.
    Was ihre Qualitäten betrifft, ist dein Gedächtnis vielleicht etwas selektiv, sagte die im Seidenkleid, die nicht weniger groß war, aber leicht, zartknochig, zerbrechlich, lauter nervöse Sehnen, lange, trainierte Muskeln.
    Sie lachten alle drei.
    Aus egoistischen Gründen ist man zuweilen über Gebühr verletzlich,
en fait
, lautete Mária Szapárys reuige Antwort.
    Irma war angeblich bei den Deméns zu Gast gewesen, als kleines Mädchen. In ihrem Schloss in Jászhanta oder wo auch immer.
    So was hatten sie tatsächlich, soviel ich weiß, sagte Mária Szapáry trocken.
    Aber ihr hattet keinen Kontakt mit ihnen.
    Es entstand eine kurze Stille. Das nun, dieses Ihr, war ein Thema, das sie mangels eines gemeinsamen gesellschaftlichen Nenners nicht wirklich berühren durften. Es führte in ihrer Beziehung zu gewissen Schwierigkeiten und unausgesprochenen Spannungen.
    Ich glaube nicht, dass es dafür Gelegenheiten gab, antwortete Mária Szapáry und schien sich jede weitere Frage zu verbitten.
    Auch Irmuschlein war nur auf ein paar Tage da, fügte Margit Huber rasch hinzu, um die Situation zu retten.
    Es war wirklich eine dumme Frage gewesen, wie hätten sie mit einem jüdischen Grundbesitzer Kontakte pflegen sollen.
    Erna hat es jedenfalls so erzählt, dass sie sich tatsächlich kennen. Sie wolle aber bei ihr trotzdem nicht mit der Tür ins Haus fallen.
    Du warst bestimmt ganz perplex, als sie so unerwartet anrief, warf die im Seidenkleid ein, um die Sache zu erklären. Sie sah voraus, dass ihre Freundin in Rage geraten würde.
    Márias durchsichtige blaue Augen verdunkelten sich, sie spannte den dicken Hals, auf ihrer fast unangenehm weißen Haut erschienen rote Flecken.
    Worum zum Teufel geht es eigentlich, fuhr sie die anderen an, ich verstehe nur Bahnhof. Sie errötete vom Hals bis zur Stirn. Ich habe den Eindruck, ihr redet absichtlich durcheinander.
    Es geht darum, dass sie eine Tochter hatte, die im Oktober vierundvierzig deportiert wurde, sagte die Freundin mit der rauen Stimme so ruhig wie möglich. Ich nehme an, in den Tagen, als auch du geholt wurdest. Sie ist nie zurückgekommen.
    Ach so, das wusste ich nicht, Entschuldigung. Ich weiß nur, dass sie, glaube ich, einen Sohn in der Schweiz hatte.
    Draußen auf dem Fluss kamen das Brummen und Stampfen des Schleppers immer näher.
    Es gab ein paar lange Augenblicke, in denen Mária auf dem Trommelfell, in der Leiste und im Hals spürte, dass es auch bisher nicht bloß Brummen und Stampfen gewesen waren, sondern ein gleichmäßiges, unabweisbares Pulsieren. Was nützt schon ihre ganze Disziplin, sie hält das nicht aus. Das sind unerwartete Schläge. Und sie denkt noch, es wird ein schöner Sommerabend. Obwohl sie schon umzingelt ist, Widerstand war nunmehr zwecklos, der Lärm würde sie verschlucken. Auch dieses wahnsinnige Pulsieren war nichts anderes als eine von alters her bekannte Warnung.
    Sie war im ersten Semester, an der philosophischen Fakultät, hatte Zöpfe und trug Kniesocken, fuhr Margit Huber fort, und ihre Stimme durchdrang ohne Schwierigkeit den höllischen Lärm, so wie sie mit ihrem Lächeln durch alle peinlichen Situationen hindurchmarschierte.
    Erna hielt es für wichtig, die Zöpfe und die Socken zu erwähnen. Ich weiß nicht warum. Auch mir war die ganze Geschichte unbekannt. Was soll ich auch

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