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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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ungarischen Wörter französisch aus. Nicht seine Gefühle tobten, sondern sein Bewusstsein. Er hörte seinen eigenen Akzent, und das war das Zeichen, dass er aufhören musste. Er ging zu weit. Kühl befragte er seine Gefühle, ob die andere wirklich so war, dass sie ihn nicht verstand, und in dem Fall bliebe wirklich nichts anderes als der Mord. Das war keine hypothetische Frage, er hatte mehrere Menschen umgebracht, allerdings nicht im Affekt.
    Was willst du mit mir? Was?
    Gyöngyvér zuckte hysterisch herum, kreischte, als hätte sie tatsächlich Angst, ermordet zu werden.
    Sie rissen sich gleichzeitig voneinander los, und während sie auseinanderrutschten, weil ja der andere so verständnislos war, dass sie ihre Verklammerung keinen Augenblick länger ausgehalten hätten, verloren sie das Gleichgewicht und rollten vom Bett.
    Ihre Glieder klatschten, sie fielen übereinander, schlugen wie volle Säcke dumpf auf dem Boden auf, aber auch dort fuhren sie fort zu kämpfen.
    In ihrer hilflosen Wut wurden beide an den Rand des Weinens, des kindischen Gebrülls gestrudelt, sie hätten eine Niederlage nicht ertragen, ihre Wut verstärkte noch das Bedürfnis zu weinen. Und die Energie, mit der sie es zurückhielten, verursachte einen starken Schmerz, nicht zu weinen tat weh, blieb als Mangel zurück, so wie die traumatischen Erfahrungen ihrer verlorenen, furchtbaren Kindheit, derart, dass der vom Fallen verursachte physische Schmerz, das ganze unglaubliche physische Durcheinander, die gegen die geschlossene Tür knallenden Köpfe, die auf den buckligen Boden mitgerissene Decke, ihre Weichheit und Wärme, dazwischen die Splitter und Spalten des Parketts, auf denen sich die Haut unter dem Gewicht und Druck des anderen Körpers sofort wund rieb, der Stoß von herausstehenden Körperteilen, scharfe Winkel von Ellenbogen, Kinn, Knien: kaum zu spüren war. Es war zwar etwas geschehen, aber nichts wirklich Spürbares. Gemessen an den seelischen sind die physischen Schmerzen nüchterne, in ihrer Einfachheit beruhigende Feststellungen. Aber diese Nüchternheit war von kurzer Dauer. Beide begannen ihre Prellungen und Schürfungen zu spüren, und beide erfassten mit einem Mal die völlige Sinnlosigkeit ihrer Anziehung und ihres Ringens, was tu ich denn da.
    Nackt im Sonnenlicht.
    Und doch fuhren sie damit fort, denn mit dem, was sie mittlerweile füreinander empfanden, konnten sie nichts anfangen. Sie wollten den anderen zugleich bewahren und von sich abtrennen.
    Sie hätten aufstehen können, wieso hätten sie denn diesen wahnwitzigen Vereinigungsversuch nicht aufgeben, ihr Leben nicht dort fortsetzen können, wo sie es ein paar Stunden oder Tage zuvor unterbrochen hatten. Ágost hätte wirklich nach Hause gehen sollen, oder wenigstens seine Mutter anrufen, sie sollten nicht auf ihn warten, ihn nicht bei seinen Freunden suchen, es sei nichts passiert, er habe bloß zu tun. Wieder einmal fickt er sinnlos durch die Gegend, dann geht er nach Hause.
    Der streng vertrauliche Text, den er gerade aus dem Italienischen übersetzte, lag neben seiner Schreibmaschine, so wie er ihn vier Tage zuvor liegengelassen hatte und ins Schwimmbad gegangen war. Den Vorschriften gemäß hätte er ihn wegschließen müssen. Und Gyöngyvér hätte schlafen sollen, sie musste um fünf Uhr aufstehen, um sechs begann im Kindergarten das Tagewerk. Man hätte nicht behaupten können, dass sie den nüchternen Alltag nicht klar vor Augen hatten. Nur konnten sie ihn nicht integrieren. Aufstehen und telefonieren. Sagen, ach, jetzt sollte ich aber schlafen. Wenn der andere etwas tat oder sagte, war es unmöglich, sich seinem Rhythmus zu entziehen. Obwohl die körperliche Nähe nicht mehr beruhigend wirkte, sondern ihre Unbefriedigtheit erschreckend verstärkte. Dieses Etwas hatte keine Arme für die Umarmung, keinen Mund für die Küsse. Nichts, womit der rohe Schmerz der Leere gemildert werden konnte.
    Das überlegte er und fühlte unterdessen, wie der Körper dieser fremden Frau in seinen Händen zitterte, eine, die ihn nichts angeht, die er nicht kennt und keinen Grund hat kennenzulernen. Als würde er ein schon immer an allen Gliedern zitterndes Wesen an sich ziehen oder von sich stoßen. Das durfte er wirklich nicht. Wo er sie schon zugrunde gerichtet hatte. Aber wenn er sie nicht wegstößt, wird sich das fremde Zittern auf seine Muskulatur übertragen. Das lieber nicht. So viel Zärtlichkeit hätte ihn wankend gemacht. An seinem Panzer gerüttelt.
    Es war an

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