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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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diesem Abend und in dieser Nacht nicht das erste Mal, dass Gyöngyvér zitterte.
    Vielmehr schien es, als kehre das Zittern immer unterschwelliger und unberechenbarer in ihren Körper zurück und würde ihr kaum hörbare Wimmerlaute entringen.
    Schatz, Süßes, was habe ich gemacht, habe ich dich fertiggemacht.
    Und während er für sich selbst überraschend diese aufgewühlten, zärtlichen Worte aussprach und dazu die kräftigen Schultern der Frau umarmte, begann er vor Schreck zu weinen.
    Ach je, sagte er erstickt. Ich weiß nicht, was das ist.
    Es kam aus dem Tiefsten seiner Brust, aus einer unvordenklichen Vorzeit, könnte man sagen.
    Wie ein tierisches Röcheln zweimal hintereinander. Nicht er hielt es zurück, dazu hatte er weder Zeit noch Geistesgegenwart. Vielleicht ließen es seine Rückenmuskeln nicht zu, seine angespannten Bauchmuskeln. Der unsichtbare Panzer unter seiner Haut, der nicht erlaubte, dass andere mit ihren unnötigen Gefühlen eindrangen, der aber auch ihn nicht mehr hinausließ. In sich eingeschlossen leben und sterben. Ohne weitere Töne begannen peinlicherweise seine Tränen zu fließen, über sein Gesicht zu strömen.
    Es tat gut.
    Peinlicherweise, er empfand es so, er schämte sich, denn seine Muskeln hielten ihn immer noch fest. Früher einmal hatte er ein verletzlicheres Leben gehabt, deshalb sprach er zu der Frau so viel von diesen Urzeiten. An die er sich selbst nicht erinnerte, sogar wenn er sie wiederfand, hatte er keinen Zugang zu ihnen. Zu viel Härte, zu viel Vergessen hinderten ihn.
    Und das war noch schmerzlicher als alles Bisherige. Es schüttelte ihn, aber auch das wollte er sich nicht erlauben.
    Nichts, schien er zu sagen, nichts lasse ich zu.
    Da brach es auch aus Gyöngyvér heraus, sprudelte hoch. So hatten die Mädchen geweint, wenn sie die zuckenden Schultern der anderen sahen, der ganze Kollegiumschlafsaal unter der Decke schluchzend.
    Sie hatte noch nie einen Mann weinen sehen, und gerade dieser Mann musste es sein.
    In ihrer Freude kicherte sie, was das beglückte, hysterische Weinen der Schlafsäle auslöste. Vor Dankbarkeit, er weinte ja ihretwegen, was sie aber auch erschreckte. Sie zitterte am ganzen Leib, klapperte zwischendurch mit den Zähnen, wie von Fieberschauern geschüttelt. Sie beweinte jemanden, war aber auch vom eigenen Kummer belustigt. Sie weinte um eine Unbekannte, die eigentlich schon längst hätte tot sein sollen. Ich werde meine Mutter töten.
    Weißt du, ich habe eigentlich eine Zwillingsschwester, sie schluchzte untröstlich.
    Sie hatte es gerade erfunden, um dem Mann etwas erzählen zu können.
    Wo denn, woher sollte ich das wissen. Du hast ja nie etwas davon gesagt, schniefte der Mann.
    Sie hatte es erfunden, um nicht an ihre Mutter denken zu müssen. Die für sie tatsächlich schon hätte tot sein sollen. Sonst würde sie auch diesen Mann nicht lieben können. Die Mutter war ihre tote Zwillingsschwester. Das alles sah sie so deutlich vor sich wie eine arithmetische Formel.
    Seit ich auf der Welt bin, sagte sie, trage ich diese andere in mir mit. Ich liebe nur sie, und sonst niemanden. So etwas gibt’s, auch wenn du darüber staunst.
    Du redest völlig wirr, entschuldige mal, du bist ja konfus.
    Und man fühlt, dass man nie allein ist, wirklich. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass sich in der Gebärmutter die eine Eizelle die andere einverleiben kann.
    Natürlich, klar, und dann bin ich nicht mit einer Frau zusammen, sondern mit zweien, nur kann ich die andere nicht sehen.
    Immer, immer bin ich zwei Frauen, du bist nie mit einer einzigen zusammen, dafür musst du dir jemand anders suchen.
    Sie sprach zirpend und aufgesetzt wie ein affektiertes kleines Mädchen, dann wieder sank sie in ihre normale Stimmlage zurück, den warmen, schmerzlichen Alt, worüber sie selbst kicherte.
    Du musst meine beiden besten Freunde kennenlernen, fällt mir ein, er schniefte lustvoll, was ihn selbst überraschte. Du wirst sie mögen, jedenfalls möchte ich gern, dass du sie magst, es sind zwei gute Jungs.
    Als sagte er tröstend zur Frau, hab doch keine solche Angst vor dir selbst, auch ich bin kein Einzelner, wir zu dritt sind einer. Auch wenn er jetzt erst wirklich fühlte, dass er in Wirklichkeit niemanden hatte, niemanden haben konnte, und er tat sich fürchterlich leid. Das Selbstmitleid war sein einziger Trost.
    Sich selbst verstanden sie, sahen sich auch bis zu einem gewissen Grad von außen, den andern aber verstanden sie nicht.
    Sie starrten sich

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