Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
Vom Netzwerk:
nicht mit der gleichen Überzeugung. Madzar tat es eher aus Höflichkeit der außenstehenden Macht gegenüber. Frau Szemző hingegen wurde von ihrem professionellen Verantwortunggefühl geleitet.
    Gleichzeitig spürten sie, dass die schönen intellektuellen Reden nichts halfen. Die Lust ließ sich nicht mehr aufhalten, in Grenzen lenken. Sie begriffen gar nicht, wie ihnen geschah. Genauer, sie mussten zur Kenntnis nehmen, dass im Frühlingswind unter dem bedeckten Himmel etwas ganz anderes geschah als das, was sie sich an dem Morgen vorgenommen hatten, und etwas ganz anderes als das, worüber sie redeten.
    Sie schienen zwischen dem geistigen und dem physischen Genuss ins Rutschen zu geraten.
    Nicht, dass er bisher gemerkt hätte, dass ihm diese Frau gefiel, dachte der Mann. Seine leicht gestärkte, sorgfältig gebügelte weiße Seidenpopeline-Unterhose, die ihm bis zur Schenkelmitte reichte, drückte zwar seine Erektion hinunter, konnte sie aber nicht verhindern. Er fand die Frau ausgesprochen hässlich, wenn auch ungewöhnlich intelligent und selbständig, wie er zugeben musste. Aber genau deswegen waren solche Frauen nicht sein Fall, zumindest dachte er das. Das Bein der Unterhose drückte sein steifes Glied gegen seinen Schenkel, wodurch die Vorhaut von der Eichel zurückgekrempelt wurde. Sie wird stecken bleiben. Nicht beachten, ich darf es nicht beachten, dachte er.
    Es kam selten vor, dass er wegen einer Erektion nicht mehr wusste, wo ihm der Kopf stand.
    Vielleicht wenn ich Revolutionär wäre, Bolschewik, Gewerkschaftler, Anarchist oder Ähnliches, dann könnte ich mich auf ein solches kleines Abenteuer einlassen, sagte er lachend. Eigentlich bat er mit diesem Lachen, mit den vorgezeigten Zähnen, den anderen Menschen um Verzeihung, zeigte ihm damit aber auch seine Kraft und sein Begehren. Ich könnte auf allerlei Anliegen eingehen, weil ich die Welt verändern oder erlösen möchte. Oder alles löschen und neu anfangen, was früher andere gemacht haben. Ich bin aber kein Kommunist. Ich denke nicht so. Ich brauche klare Rahmenbedingungen. Hinter denen natürlich klare Übereinkünfte stehen müssen. Es gibt keinen Urbanismus, der nicht auf Tausenden von Übereinkünften beruht. Was den Gebäuden aber Beständigkeit verleiht, ist nicht der Stein oder der Beton, sondern die Weltordnung. Und da ich davon hier nichts vorfinde, zumindest nicht in genügend reiner Form, gehe ich anderswohin.
    Daher meine Entscheidung, ich hoffe, Sie verstehen das.
    Von weitem gesehen, wirkten sie da neben dem neobarocken Springbrunnen wie ein gut eingespieltes Liebespaar, das mindestens zweimal im Monat endgültig miteinander bricht. Wahrscheinlich merkte keiner von ihnen, wie gefährlich nahe sie beieinanderstanden. Trotz ihrer sichtlichen Anstrengungen, Distanz zu bewahren.
    Beide beugten sich sozusagen aus dieser Nähe zurück, aber ihre Beine, ihre Becken blieben sich zu nah.
    Was ganz sicher eine starke Aura schuf, und vielleicht lässt der Körper in solchen Momenten auch gewisse Düfte frei. Trotzdem war ihre Lage nicht deswegen so kompliziert. Das Gefühl von Nähe wurde auch noch dadurch verstärkt, dass sich ihre Kleidung in Qualität und Eigenart auf fast lächerliche Weise glich, was bedeutete, dass sie sich nicht erst jetzt ähnlich wurden, sondern es schon von Anfang an gewesen waren, wie sie jetzt merkten.
    An diesem windigen, bewölkten Frühlingsvormittag sah es nach Regen aus, aber es regnete nicht.
    Beide trugen einen beigen Burberry-Übergangsmantel, der sich nur durch den Schnitt unterschied, und beide einen dunkleren Hut, den der Mann seinerseits in der Hand hielt.
    Damals konnte man sich die Damenhüte tief in die Stirn ziehen, die Krempe weit herunterschlagen, die Gesichtszüge waren sozusagen in den Schutz ihrer Schatten getaucht. Die Frau neigte leicht den Kopf und blickte aus dem Hutschatten in die blassgrünen Augen des Mannes. Mit beiden behandschuhten Händen hielt sie sich die Handtasche schützend vor die Brust. Die schlanke, stark in die Länge gezogene, überfeinerte Frauenfigur, die Silhouette, war damals Mode. Irma Arnót war auch als junges Mädchen nicht schön gewesen, ihre Silhouette aber schon, so fragil und anmutig, wie es Mode war.
    Der Wind trieb den Männerduft weg, dann wieder hob er ihn ihr unter die Nase. Zigarrenrauch lag darin, vom altmodischen Theresienring-Hotel, dem Britannia, die Rasierseife des Barbiers lag darin, das Lavendel-Gesichtswasser, und der zwischen allen den

Weitere Kostenlose Bücher