Parallelgeschichten
fürchteten sie, dass ihre Reserven aufgebraucht waren und etwas aufbrechen würde. Etwas, das bis dahin im Gleichgewicht gewesen war, würde ins Skandalöse kippen. Der Mann musste daran denken, was er mit seinem Schwanz anfangen würde, sobald er wieder in seinem Hotel wäre.
Schließlich ging es ja um viel Geld, um Arbeit, um nichts sonst. Das wird so nicht gehen. Ich kann doch nicht mit der Frau jedes Auftraggebers ins Bett gehen. Nichts zwingt mich, diese Arbeit anzunehmen. Ich schulde auch niemandem eine Erklärung, wenn ich es nicht tue.
Sie zählten jeder für sich ihre nüchternen, realistischen Argumente auf.
Wenn er es nicht annehmen will, dann eben nicht. Dann richte ich selbst die Wohnung ein, schließlich hat sie ja ihre eigene Tradition, es ist keine große Sache. Wenigstens kostet es dann nichts. Hier das Sofa, da den Schreibtisch, und fertig.
Oder jemand anders macht es.
Dann aber sicher kein Mann. Belluchen kann bestimmt jemanden empfehlen.
Die Spazierwege der Insel wurden jeden Frühling dick mit feinem Donaukies bestreut.
Sie sanken bei jedem Schritt ein, und weil sie nicht achtgaben, rieselten ihnen Kieselsteine in die Schuhe. Beide trugen kräftige Schuhe, die Frau mit etwas höheren, sportlichen Absätzen.
Ihre braunen, handgenähten Schuhe hatten eine herzförmige Kappe, die Spitzen ein elegant verschlungenes Muster. Den Übergangsmantel der Frau hielt ein Gürtel zusammen, der Kragen war hochgeklappt, um ihren Hals vor dem Wind zu schützen. Was sie unter dem Mantel trug, war nicht zu sehen, aber der gesprenkelte Wollstoff ihres Kleids passte zur Musterung und Beschaffenheit seines englischen Anzugs.
Auch ihre seidenbestrumpften Beine konnte er nicht sehen, stellte sie sich aber als zu dünn vor. Und kein Busen. Die ist in ein paar Jahren wie ein Brett, ein Schürhaken.
Die Frau ihrerseits kämpfte mit dem Gedanken, dass es angenehm wäre, seine Hände zu ergreifen, auch wenn sie nicht schön waren, und sie mit ihrer Hand in die Manteltasche zu stecken. Oder sie, während sie dauernd den Hut drehten, anzuhalten, festzuhalten. Der wippt vielleicht auch mit dem Bein, er sieht wirklich nicht nach guter Kinderstube aus.
Immer steifer gingen sie nebeneinanderher. Der Mann hatte, wenn man so etwas sagen kann, tatsächlich ausgesprochen hässliche Hände, kurze, stumpfe Finger und ein zu starkes Handgelenk. Und doch hätte sie diese Hände gern gespürt, wäre gern mit ineinanderverschränkten Fingern weitergegangen, einfach weiter. Mit ihm weiter nach Amerika. Sie hätten stehen bleiben müssen, um den Kies aus den Schuhen zu schütteln. Und den noch vor ihnen liegenden, wohl lang werdenden Spaziergang hätte keiner von ihnen seelisch überstanden. Je weiter sie sich von der Inselzufahrt entfernten, um so größer wurde die Wahrscheinlichkeit, dass sie, einmal im Innern der Insel, doch noch ohne jede Verantwortung übereinander herfallen würden.
Dem Architekten kam ein rettender Gedanke.
Sie sollten nicht hier entlanggehen, hier am Ufer wehe zu viel Wind, sondern quer vor dem Casino vorbei und die Absteckung der neuen Turmspringerhalle des Sportschwimmbads anschauen gehen, die den Plänen gemäß diese Woche zu sehen sein sollte.
Vielleicht würde er dort Alfréd Hajós treffen.
Was die Frau natürlich gleich verstand, sie wurde sofort von einem starken Schmerz überrascht.
Sie spürte in der Kehle und in der Brust, dass sie seinen willkürlichen Entscheid zwar akzeptieren, diesen Verzicht aber nicht heil überstehen würde.
Es tat weh, sie würde den Schmerz noch lange nicht loswerden. Leiden, schon jetzt und später auch noch.
Zum Glück fanden sie nichts und niemanden.
Außer leere Stellen von gefällten Bäumen, ein paar verlassene Gräben, wo wahrscheinlich Bodenproben entnommen worden waren, ein paar Pfähle an verschiedenen Punkten des ausgetretenen Rasens. Aus irgendeinem Grund waren die begonnenen Bauarbeiten ins Stocken geraten. Den beiden lieferte das den Vorwand, über neutralere Themen zu plaudern, sich umzusehen, umherzustreifen, zögernd und schweigend, und dann rasch umzukehren.
Bei der Inselzufahrt, die zu den exponiertesten Stellen der Stadt gehört, fuhr der Wind durch ihre Körper, ließ sie schwanken.
Laut lachend stellten sie sich gegen ihn, sie riefen und lehnten sich unabsichtlich aneinander, stützten sich dann absichtlich Rücken an Rücken, hielten sich aneinander fest und lachten, weil es lustvoll war, die Windstöße nahmen ihnen zuweilen den
Weitere Kostenlose Bücher