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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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Atem.
    Oder was immer es war.
    Am Ende mussten sie in eine Straßenbahn steigen, um sich vor dem Wind in Sicherheit zu bringen.
    Im leeren Wagen rangen sie wild und errötet nach Atem, vor den Augen des Schaffners. Sie benahmen sich, als wären sie gerade mit dem Leben davongekommen.
    Und wenn sie schon davongekommen waren, durften sie sich auch gleich bei der ersten Haltestelle auf der Pester Seite eilig verabschieden.
    Das ist Budapests zweite windgepeitschte Stelle, hier lösen sich gern Blechtraufen, machen sich Regenrinnen los, fallen Ziegel, Mörtel.
    Sie verabschiedeten sich auf dem Leopoldring, als wünschten sie sich nie wiederzusehen.

Anders konnte es sich nicht austoben
    Ich weiß nicht, woher ich den Mut nahm, es endlich kühn herauszuwürgen. Der Satz war schlecht, aber ich sprach ihn trotzdem aus. Ich möchte Sie gern treffen. Es klang, als würde die Stimme eines anderen Menschen in mein Leben herüberrufen.
    Mag sein, dass die jungen Leute heutzutage das nicht mehr auf die Art sagen, sondern ganz anders, aber damals machte man es so. Der gesittete Ton machte das Geständnis natürlich nicht weniger schamlos.
    Die eine Schande konnte die andere nicht auslöschen oder gutmachen.
    Neun Monate waren nur gerade vergangen, ich stand am regengepeitschten Salonfenster und zählte nach, trotzdem war es in eine relativ beruhigende Ferne gerückt.
    Im Herbst hatte es noch einen nebligen Abend gegeben, an dem ich mich an die Orte zurückwagte, doch zum Glück hatte ich zwischen Bäumen und Büschen keine Seele angetroffen. Aber was nützte meine ganze Ordentlichkeit, wenn ich gleichzeitig meinen Blick auf das andere Leben gerichtet hielt, das parallel zu meinem ablief. Ein Leben, das ich auch vor mir selbst hätte verheimlichen sollen. Wenn noch einmal neun Monate vergangen sein werden, das war meine asketische Hoffnung, würde ich die Sache ganz vergessen haben. Noch besser wäre es gewesen, stellte ich mir dauernd vor, sie umzubringen, alle umzubringen, damit niemand auf Erden übrigblieb, der sich daran erinnern könnte.
    Hin und wieder kam mir sogar der schwarze Hund in den Sinn, über mir, wie er mir ins Gesicht atmet, mir die Augen lecken will.
    Wie die Männer über mir standen, mit gespreizten Beinen und vorgereckter Hüfte, die alles besser wussten, besser machten und sich nicht die kleinste Gelegenheit entgehen ließen.
    Merkwürdige Schatten mächtiger Vögel.
    Deshalb zögerte ich, deshalb drehte und wendete ich hilflos jeden meiner vorbereiteten Sätze, deshalb wartete ich seit Wochen auf den günstigen Augenblick, deshalb war ich mit meinem dummen heiseren Spruch so wild entschlossen, als an diesem stürmischen Märzvormittag der günstige Augenblick tatsächlich gekommen war.
    Als würde ich zum ersten Mal in meinem Leben einem fremden Menschen völlig unvermittelt meine wildesten Wünsche zur Kenntnis bringen. Bis dahin war es immer umgekehrt gewesen, ich hatte die groben Aufforderungen anderer entweder abgewiesen oder, was um etliches leichter ist, angenommen. Trotzdem blickte ich in den Geheimnissen der Männer nicht wirklich durch, wusste immer noch nicht, wie sie das gefährliche Spiel der Avancen spielten, obwohl ich mir alle Mühe gegeben hatte, die Regeln zu erlernen.
    Vor einer Frau hätte ich wohl im Unschuldskostüm auftreten sollen, statt meinen Wunsch so finster vorzutragen, wie es dann herauskam. Die Schwerfälligkeit war peinlich, uns beiden war es peinlich, etwas auf diese Art zu beginnen. Sie beantwortete meinen finsteren Ton sofort mit Traurigkeit. Nicht das habe ich von dir erwartet, schien sie zu sagen. Ich hätte unbeschwerter sein sollen, freundlicher, meinen heimlichen Wunsch zwischen zwei unschuldigeren Sätzen verstecken. Statt gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Nur war ich alles andere als unschuldig. Ihr die Möglichkeit geben, mich ohne verletzende Absicht abzuweisen oder zu tun, als hätte sie es nicht gehört.
    Sie trug einen Ehering und schien älter als ich.
    Mich nicht zu demütigen, falls sie mich abwies.
    Zu meiner größten Überraschung tat sie es nicht. Aber nicht, weil ich die Rolle des Eroberers gut spielte. Sie musste einen anderen Grund haben.
    Vielleicht fand sie meine Lächerlichkeit amüsant.
    Einen Moment schloss sie die Augen, ich durfte zusehen, wie bekümmert sie war, dann öffnete sie sie wieder und nickte. Und beim Nicken und Augenöffnen war ihr Kummer nirgends mehr. Vielleicht war es auch kein Kummer, keine Traurigkeit gewesen, sondern

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