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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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Schattierungen schwerere, beherrschende, alles andere an sich bindende Geruchskern, den nur die Nähe von Haut zu erklären vermag. Die heimlichen Zeichen zu beobachten, das hatten sie schon hinter sich. Aber keiner von ihnen mochte mit einer unbedachten Bewegung die Deckung verlassen und mit offenen Karten spielen. Sie hätten es töricht und unverantwortlich gefunden, wenn einer von ihnen damit angefangen hätte, brutal und von ganz schlechten Manieren. Der Mensch ist schließlich nicht auf der Welt, um zu rammeln und sich zu paaren. Obwohl sie gerade in dem Lebensalter angelangt waren, in dem viele sich verunsichert fragen, wozu denn sonst. Ob das Leben, abgesehen davon, ein erkennbares und verfolgbares Ziel hat. Beide protestierten instinktiv gegen die Leere des Lebens, und es interessierte sie deshalb weniger, was sie da gerade miteinander taten, sondern eher das, was sie sich versagten, worauf sie bewusst verzichteten.
    Damit füllte sich der Augenblick auf, sie nahmen seinen Schmerz und seine Schönheit in ihre einsamen Stunden mit.
    Der jüngere Mann, der vor unauflöslichen Liebeswirren nach Budapest geflüchtet war, fragte die Frau jedenfalls nicht, warum bist du plötzlich so traurig.
    Es wäre ihnen nicht eingefallen, sich zu duzen.
    Und die anbiedernden Liebesklischees, woran denkst du, wieso lachst du, waren ihm zuwider. Bloß interessierte ihn nichts anderes, und so hatte er sie in Gedanken sogleich zu duzen begonnen. Wieso hat sich deine Miene so verdüstert, was ist das für ein Schatten auf deinem intelligenten Gesicht. Wenn er gefragt, wenn die Frau irgendetwas geantwortet hätte, wäre seine Erektion noch stärker geworden. Das wollte er nicht. Auch wenn es schon zuvor in der Luft gelegen hatte, denn bevor er vom Britannia aufgebrochen war, hatte er sich sicherheitshalber befriedigen wollen. Den steifen Schwanz in seiner Hand anschauen, sehen, wie die Lust der Bewegung folgt. Damit war er zufrieden. Und doch hatte er es an dem Morgen nicht getan, beziehungsweise sich auf halbem Weg besonnen und angehalten. Er durfte die Frau nicht an sich ziehen. Und die Frau fragte den jüngeren Mann nicht, obwohl es ihr auf der Zunge lag, wem er mit diesem wahnsinnigen Haar nachschlug, welchem Eltern- oder Großelternteil. Was denke ich auch für Unsinn. Als ob es mir nicht gleichgültig wäre, von wem er es hat. Du mit deinem Wahnsinnshaar, das hätte sie laut sagen wollen.
    Wahnsinn.
    Ein Wort, das unwiderruflich zeigen würde, wie sehr der Mann sie beeindruckte, in Erstaunen versetzte.
    Keiner von ihnen wollte so weit gehen. Das Dunkelbraun spielte ins Rot, dicht und gewellt. Nicht einmal mit Worten durfte sie ungestraft daran rühren. Frau Szemző hoffte ehrlich, dass man ihrem Gesicht nicht ansah, wie ihr ganzer Rücken, ihre Schultern, ihr Hals erschauerten. Wie ein seltsamer Panzer, sicher, er verteidigt sich gegen mich, trägt einen rituellen Haarpanzer auf dem Kopf. Sie musterte ihn und sah neben dem Braun und dem Rot auch Violett, was den Anblick unwirklich machte. Woher hast du diese Haarfarbe, das hätte sie am liebsten gefragt. Sie versuchte sich davon abzubringen. Ich bin eine verheiratete Frau, Mutter von zwei Kindern, ich darf mein berufliches Renommee nicht mit einem Abenteuer zerstören.
    Sie hätten nicht mehr mit normaler Stimme sprechen können, so groß war die Anstrengung.
    In ihrer Verlegenheit zuckte Frau Szemző mehrmals mit den Schultern. Madzar hingegen wurde zur Statue, reglos, eine Zeitlang ließ er nicht einmal seine kuriosen Wimpern flirren.
    Und dann setzten sie sich auf der leeren Promenade, die sie vis-à-vis dem Pester Ufer am Wasser entlanggeführt hätte, doch gleichzeitig in Bewegung.
    Aber schon hatte es Bedeutung, war es ein Signal, dass sie sich gleichzeitig in Bewegung gesetzt hatten. Und dazu gingen sie auch noch im gleichen Takt.
    Worüber sie sich beide sofort ärgerten.
    Da arbeitete eine fremde Kraft, die ihre Selbständigkeit zerstörte. Der andere hatte sie kaputt gemacht, der andere, da war ein anderer, auf einmal gab es einen anderen.
    In ihrer Verwirrung konnten sie nichts anderes tun, als auf das Knirschen des Kieswegs unter ihren Schritten zu horchen. Für den Mann war jeder Schritt eine Qual. Es war nicht das erste Mal, dass sie so im Schweigen versanken, aber bisher hatten sie damit immer etwas anfangen können, bisher hatte sie das Glück nicht verlassen, wie es der Mann formulierte, auch ihre gute Erziehung nicht, wie es die Frau formulierte. Jetzt

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