Parallelgeschichten
rötliche Schattierung, die ihn zum Erröten disponierte. Das war vielleicht die einzige Eigenschaft, die seine starke Persönlichkeit verletzlich und schutzlos machte. Gegen das Erröten konnte er nichts tun, er konnte es auch nicht verbergen. Was er unglücklicherweise seiner niederen Herkunft zuschrieb. Es griff heimtückisch seine Sicherheit an, grob und direkt, und stieß ihn immer heftiger und immer tiefer in Verlegenheit.
Seit dem Klassizismus ist das die erste Architektengeneration, sagte er lauter als nötig, die sich nicht in der Repräsentation, im Dekorativen formulieren will. Architektur ist kein Stil, doch die hier leben in diesem Irrtum. Weder die Kirche noch die Aristokratie behindern sie mehr. Das ist ein großer Sprung, ein nicht rückgängig zu machender Wandel. Das zwanzigste Jahrhundert formuliert sich in der Struktur, im organischen Aufbau. Die Architektur muss das mit Hilfe eines Prinzips auffangen. Diese Unglücklichen hätten, wenn ich einen historischen Vergleich bemühen darf, etwas lösen sollen, das die Märzjugend nicht hat lösen können. Menschliche Proportionen schaffen, die bürgerliche Revolution vollenden. Was sie stattdessen hier gemacht haben, ist für mich, Sie verzeihen, sehr halbherzig und unsauber.
Unsauber, aber ich hoffe, Sie verstehen, dass ich nicht in erster Linie an moralische Vorgaben denke. Eine historische Rechtfertigung akzeptiere ich auch von Ihnen nicht, denn mich interessiert nicht die Geschichte der Dinge, sondern ihre Beschaffenheit und ihr Zustand.
Er sprach laut, als müsse er gegen den Wind anreden, drängte damit aber eigentlich seine Wut zurück. Wieder so eine rücksichtslose Patrizierin, wie die in Rotterdam. Eine, die in ihrer abgeschlossenen Persönlichkeit die bürgerliche Revolution tatsächlich vollendet hatte.
Er kämpfte mit dem Erröten und dachte schwitzend daran, dass er schon wieder an so eine geraten war.
Wenn ich Sie recht verstehe, machen Sie einen strengen Unterschied zwischen der Individualität und der Persönlichkeit oder dem persönlichen Egoismus. Sie treffen den Nagel auf den Kopf, aber es ist ein riskantes Unternehmen. Sie sagen, man müsse den Egoismus sogar von den persönlichen Bedürfnissen ablösen.
Unbedingt.
Sie lassen keinerlei Kollektivismus gelten.
Ich frage mich nicht einmal, ob ich ihn gelten lasse.
Sie lassen auch den kollektiven Egoismus nicht gelten, sondern ausschließlich die persönlichen Übereinkünfte.
Ja, genau, sagte der Mann, der jetzt vor Freude errötete.
Diese Frau verstand ihn also doch, forderte ihn heraus.
Das ist das einzige Prinzip, das ich verstehe, für mich repräsentiert es den Zeitgeist, ist das Ordnungsprinzip. Ich muss es zwischen das Gemeinschaftliche und das Private einfügen, möglichst mit der eindeutigen Zustimmung der Beteiligten. Ja, mir reicht es auch, bloß Vorschläge zu machen. Vorschläge für einen Vertrag oder eine Übereinkunft.
Zum Glück kam wieder ein stärkerer Windstoß, der in sein dichtes Haar fuhr. Das gab ihm die Gelegenheit, in seiner unterdrückten Freude und Begeisterung etwas anderes zu tun, als seinen Hut in der Hand zu halten und zu kneten.
Er griff nach seinem Haar.
Im selben Augenblick griff Frau Szemző nach ihrem Hut, auch wenn der Wind ihn ihr nicht hätte vom Kopf wischen können. Wie jemand, der die Übersprungshandlung des anderen imitiert, weil auch er etwas zu verbergen hat. Auch sie errötete stark.
Schon weil die Bewegung zuerst da war und dann erst die Erkenntnis, was sie da machte.
Beide standen völlig ungeschützt voreinander.
Meines Erachtens gehen Sie mit dem Psychologisieren zu weit. Ich empfinde Sie als provokant, auch wenn ich zugebe, dass Sie auf der richtigen Fährte sind, fuhr der Mann lächelnd fort. Er hatte eine warme, kräftige Stimme. Ich hingegen denke über diese für uns beide relevanten Dinge einfacher, sachlicher, um nicht zu sagen primitiver.
Daraufhin geriet auch Frau Szemző in Rage.
Nein, sagte sie fast scharf, was das Denken betrifft, alle Menschen denken gleich. Höchstens geben einige beim Sprechen ihren einfacheren, andere ihren differenzierteren Gedanken den Vorzug. Aber das sagt nichts darüber aus, ob sie sachlich oder voreingenommen denken.
Auf einmal war jeder wütend über die Verständnislosigkeit des anderen.
Und doch hatten sie das angenehme Gefühl, dass das nicht wirklich gegen den anderen gerichtet war. Als führten beide den Befehl einer außenstehenden Macht aus, wenn auch bei weitem
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