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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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etwas ganz anderes. Ich begriff überhaupt nichts, mich selbst am wenigsten. Wir standen uns so fremd gegenüber wie zuvor, und sie sagte kein Wort. Mehr Zeit blieb uns nicht, jemand kam mit seinem Zettel von der Kasse. Der günstige Augenblick war vorbei, obwohl wir doch noch klären mussten, wann und wo.
    Das ging nicht nur wegen des sich nähernden Fremden nicht, sondern in dem Augenblick war nicht einmal mehr klar, warum wir uns eigentlich treffen sollten, wo auch immer, wann auch immer.
    Ihr Kummer traf mich unvorbereitet, so wie ihre Zustimmung, die nicht weniger roh und direkt war als mein Vorschlag. Wenn ich gewusst hätte, was sie von mir wollte, hätte ich vielleicht auch gewusst, was ich von ihr wollte. So viel Erfahrung hatte ich, um mich zu einem kleinen Abenteuer zu entschließen, den ersten Schritt zu machen, aber ich hatte keine Ahnung, warum ich den nächsten tun sollte, wenn sie sich schon über den ersten nicht freute. Ich dachte, wenn andere das so machen, weil sie an Liebeswirren ihre Freude haben, dann muss auch ich das lernen. Etwas flüsterte mir zu, ich würde ohne dieses Wissen zugrunde gehen. Wenn ich schon jeden Morgen aufstand, musste ich wissen, was die anderen Menschen in allen ihren Stunden taten. Lernbegier drängte mich, doch das Objekt meiner Studien warf mir einen traurigen Blick zurück.
    Bisher hatten die Zufälle mein Schicksal geformt, jetzt hingegen bestimmten Entschlüsse mein Leben.
    Ich hätte erwartet, dass sie auf meinen Vorstoß hin in ein klangvolles Lachen ausgebrochen wäre und gesagt hätte, was stellst du dir eigentlich vor, mein Junge. Das wäre ein Spiel gewesen, eine Freude. Dafür hatte ich sogar einen Satz vorbereitet. Da es nicht so kam, wusste ich mit diesem seit Wochen gehätschelten, berechneten Entschluss nichts mehr anzufangen. Weder mit ihrem Kummer noch mit ihrer ergebenen Gleichgültigkeit noch mit meinen vorbereiteten Sätzen. Ich verstand überhaupt nichts.
    Warum musste es denn gleich so anders ablaufen, warum konnte man nichts vorausberechnen.
    Außer dem, was mir meine Augen zu sehen gaben, wusste ich nichts von ihr. Ich verstand nicht, was zwei wildfremde Menschen wie wir so plötzlich miteinander anfangen konnten. Oder warum sie nicht vor Scham in den Boden versanken, wenn sie etwas miteinander zu tun haben wollten. Ich hatte mich auf etwas eingelassen, das mein Schamgefühl verletzte, obwohl ich gehofft hatte, dass sich sofort eine befreite Lust daraus ergeben würde. Solange man in einer Gruppe von Halbwüchsigen oder Studenten lebt, ergibt sich immer alles von selbst, auf irgendeine Art sind einem alle vertraut, und alle werden von ähnlich wilden Trieben gepeitscht. Jetzt stand ich hier am Tresen, nackt und ertappt, entblößt durch mich selbst. Diese Frau war nicht mein Jahrgang, uns hatte nicht der Zufall des Studiums zusammengebracht. Als hätte ich ihr laut und deutlich gesagt, dass ich sie begehre und mein Begehren auf dem kürzesten Weg zu befriedigen wünsche.
    Was nicht stimmte.
    Ich begehrte nicht einmal, sie in meiner Nähe zu haben. Ich sah sie gern, und zumindest hätte ich gern die Gelegenheit gehabt, sie anders als nur heimlich beobachten zu können. Aber nicht einmal reden mochte ich mit ihr. Was hätte sie sagen, was hätte ich einer Fremden erzählen können. Und mir fiel gar nicht ein, sie berühren zu wollen.
    Mit dem, was ich wollte, blieb ich letztlich immer allein, anders konnte es sich nicht austoben.
    Also gut, dachte ich, auch das hätten wir jetzt ausprobiert. Ich kann gehen. Als wären wieder einmal mehrere Personen in mir, und eine wäre von den anderen zu diesem Blödsinn angestachelt worden.
    Und jetzt war Schluss.
    Sie schaute mich nicht an, als wäre ich nicht mehr da, oder wäre gar nie da gewesen. Ich hätte wirklich gehen können, nichts hinderte mich. Unbeholfen stand ich mit meinem Kaffeeglas da und konnte nicht entscheiden, ob ich es auf den Marmortresen stellen und demonstrativ stehen bleiben sollte oder mich damit zurückziehen und sie heimlich im Spiegel beobachten, wie auch schon, oder einfach den Kaffee, auch bisher nur ein Vorwand für meine Anwesenheit, stehenlassen und weggehen.
    Draußen auf der verregneten Straße hielt ein Bus, spie eine Menge Menschen in dicken Mänteln aus, einige von ihnen kamen herein.
    An diesem stürmischen Märztag wurde noch stark geheizt. Die dunstige Wärme des kleinen Kaffeehauses war erfüllt vom Geruch von Tee, Kaffee, Süßigkeiten und nassen Mänteln.
    Kaum

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