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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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wahrscheinlich, dass wir noch ein Wort wechseln konnten.
    Es gibt Augenblicke, in denen sich die Aufmerksamkeit verengt, man sieht nur noch einen Gegenstand und sonst nichts. Bei anderen Malen ist man so aufmerksam, dass man nicht einmal mehr den Gegenstand sieht. Da war eine Kaffeemaschine mit ihren hochragenden, in elfenbeinfarbenen Griffen endenden Hebeln und oben den aufeinandergestülpten warmgehaltenen Kaffeegläsern. Sie packte einen der Hebel mit beiden Händen, drückte ihn hinunter und lehnte sich, solange der Mechanismus nicht durch einen Widerstand hindurchgeklickt war, mit dem ganzen Gewicht darauf; erst dann ließ sie ihn los. Sie musste sich sehr anstrengen, ihr Körper in dem fast durchsichtigen weißen Kittel war unglaublich leicht, was ich besonders gern sah. Ihre Brüste oder ihr Büstenhalter drückten gegen den Stoff, zeichneten sich ab, ihr runder Hintern und ihre starke Hüfte wurden sichtbar. Der Hebelarm hob sich langsam wieder in seine Ausgangsposition, sie lächelte aus dem aufsteigenden Dampf einem älteren Herrn zu, der mit seinem Kassenzettel vor ihr stehengeblieben war. Als sähe ich nur das schmerzhafte Glitzern des Wärme verströmenden Metallzylinders, als hörte ich die Töne nur von weitem.
    Sie kommen aber früh heute, Herr Doktor, sapperlot noch mal.
    Sie begannen sofort zu sprechen, aber auf eine Art, als hätten die Wörter keine Bedeutung, sondern nur eine Rolle, einen Platz.
    Diesen älteren Mann kannte ich vom Sehen, er war Anwalt, eingefleischter Junggeselle, wohnte in der Eötvös-Straße hinter dem Großen Ring, fast im lärmigen Schlund der Hunyadi-Platz-Markthalle, im sogenannten Podmaniczky-Palais, einem einst sehr vornehmen Bau, in einem Viertel, das schon zum dunklen Dickicht der Stadt zählte.
    Sie spielten genau die Wortspiele, die ich hätte lernen sollen. Sie sagten lauter Banalitäten. Zuerst sprachen sie vom Kaffee, ob er heute mit mehr oder weniger Wasser zubereitet werden sollte, damit begann das Spiel. Sie waren in Bezug auf diese einfachen Dinge nicht deshalb so unerschöpflich, weil ihnen etwas Wertvolles oder Neues dazu eingefallen wäre, sondern weil sie in den Worten und Augen des anderen auf die Möglichkeiten achteten, die sich durch diese leichten und unverantwortlichen Äußerungen eröffneten.
    Als würden sie mit ihren Worten bei dem anderen dieses seltsame Etwas, dieses geheimnisvolle Unfassbare herauslocken.
    Dann kam das Wetter dran, dass es heute so und so war.
    Der Wind tobte, es stürmte, sie sagten bereitwillig im Einklang mit ihm, dass er tobte, er goss das Wasser aus den Traufen, riss Dächer weg, schraubte Bäume aus der Erde, sie sagten, der Wind schraubt die Bäume aus der Erde. Der Regen hatte die roten Fahnen und die nationalfarbenen Wimpel durchnässt, der Wind klatschte die patschnassen Lappen gegen die Stangen und Drähte.
    Irgendwo in der Stadt war die Oberleitung einer Straßenbahn gerissen, so etwas erzählte der Anwalt flüsternd, mehrere Schüler seien getötet worden. Ich verstand so viel, dass es in der Nähe des Nationalmuseums passiert war, dem Schauplatz der offiziellen Feierlichkeiten. Sie seien gerade über die Straße geführt worden, um in den Museumsgarten zu gehen. Man wisse nicht, wie viele Tote es gegeben habe, aber die ganze Gegend sei abgesperrt. Die offizielle Feier sei abgesagt.
    Riesiges Polizeiaufgebot.
    Er habe einen Vertrauensmann, der sage, jetzt würde die Sache als gegenrevolutionäre Provokation ausgelegt.
    Ich hätte nie gewagt, ein Thema anzuschneiden, das mich nicht interessierte, auch keins, das mich berührte, und so wurde ich meine ewige Schwerfälligkeit nie los. Wie hätte ich denn sicher sein können, dass ein fremder Mensch sich dafür interessiert, was mich bedrückt oder glücklich macht. Und wenn sie schon unter dem Deckmantel der leichten Konversation so geschickt miteinander spielten, warum machten sie dann nicht gleich ein Rendezvous ab.
    Auch das begriff ich nicht.
    Sie spielten leichthin mit heimlichen Herausforderungen. So weit hätte ich mich nie vorgewagt, und eigentlich hätte die Eifersucht an mir nagen müssen. Er trat näher zu der Frau, die ganz leise, fast zwischen den Zähnen zischend etwas gefragt hatte, während ich nicht zu existieren schien.
    Ich war Luft für sie.
    Wer weiß, antwortete der Anwalt etwas lauter, so unbeständig das Glück auch ist, wenigstens haben wir heute frei.
    Damit schob er seine längliche Aktenmappe auf den Marmortresen, und auch in dieser Geste

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