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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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war etwas höchst Vertrautes. Dann legte er seinen Hut darauf. Als würde er sich in der Nähe der Frau, wenn auch nur kurz, einrichten. Es waren eine abgewetzte alte Aktenmappe, etwas größer als eine Arzttasche, und ein feiner Hasenfellhut, von dem die Nässe abperlte. Ich hätte das Glas nirgends mehr abstellen können. Jedenfalls, fuhr der Anwalt vertraulich fort, haben sie sämtliche Verhandlungen ohne jede Vorankündigung vertagt. Alle Verhandlungen ohne Ausnahme. Und siehe, es hat auch seine Vorteile, so kann ich Sie früher sehen, mein Kleines.
    Darüber hätten sie in ein kribbliges Lachen ausbrechen müssen, aber aus beiden Gesichtern war das Lächeln verschwunden.
    Ich verstand nicht recht.
    Vielleicht war die Tragödie vor dem Museum zu groß, und polizeiliche Bereitschaft war für jedermann gefährlich.
    In diesem Moment streifte der Blick des Mannes mein Gesicht, er sah mich ziemlich lange an, ich musste ihm irgendwie bekannt vorkommen. Und wenn er mich irgendwoher kannte, fragte er sich, ob er vor mir reden durfte. Oder sein Blick fragte mich, ob ich so einer war. Der Blick ziemlich vieler Männer blieb an mir haften, und dabei fragten sie sich das. Manchmal schauten sie mich so eindringlich an, dass ich rot wurde. Die Männer sind darauf sehr neugierig, wenn sie junge Männer oder ihre eigenen Söhne anschauen.
    Ich erinnerte mich natürlich genau, woher ich ihn kannte.
    Aber jetzt stand ich wirklich allen im Weg, auch andere streckten schon ihren Kassenzettel hin. Ich musste mich mit meinem Glas verziehen. Vielleicht zögerte er auch deshalb nicht. Die anderen konnten sowieso nicht verstehen, wovon er sprach, oder wollten es nicht verstehen.
    Aus Sicherheitsgründen taten alle so, als sähen und hörten sie nichts.
    Schauen Sie nur hinaus, so viele durchnässte Polizisten haben Sie noch nie gesehen. Es ist die höchste Alarmstufe angeordnet worden. Eine größere Reise müssten Sie jetzt vergessen. Nicht einmal ich könnte Ihnen eine Bewilligung verschaffen, mein Kleines.
    Darüber lachten beide vorsichtig auf, und wieder war daran wichtiger, dass sie öffentlich etwas Verbotenes taten.
    Es tat nicht weh, machte mich auch nicht eifersüchtig, ich bewunderte sie.
    Ich nahm keinen Schluck mehr von meinem heißen Kaffee, aß aber rasch den einen, dann den zweiten Zuckerwürfel auf. Ausharren. Ich musste meine Treue unter Beweis stellen. Was immer geschah, so demütigend es auch war, ich würde ausharren, bis alle wieder verschwunden waren. Ich wartete nur auf einen Blick von ihr.
    Es konnte doch nicht sein, dass sie ihr Versprechen so schnell wieder vergessen hatte.
    Ich hatte mehr als zwei Monate gewartet. Seit dieses Kaffeehaus neu aufgemacht hatte. Es durfte nicht sein, dass es nicht noch einen günstigen Augenblick gab. Mir kam nicht in den Sinn, dass ihre anscheinend echte Gleichgültigkeit das Spiel zwischen uns gewichtiger machte.
    Denn ich war mir nicht einmal bewusst, dass ich spielte.
    In der zerschossenen Häuserflucht war dieses das erste Geschäft gewesen, das nach fünf Jahren wieder eröffnet wurde. Junge Leute zählen die Jahre nicht.
    Man sah nur zu, wie allmählich alles anders wurde, als es früher gewesen war, oder wie alles irgendwie wieder in Ordnung kam. Diese Seite des Rings war in einer einzigen Nacht vom Oktogon her von den russischen Panzern zusammengeschossen worden. Die ganze Geschäftsfront brannte aus, vom ersten Stockwerk her krachten die Decken darauf herunter. Das wurde zuerst wieder hergerichtet, dann die Wohnungen im ersten Stock, aber hinter den mit Brettern vernagelten Portalen der Geschäfte tat sich lange nichts. So lange nicht, dass es eigentlich an gar nichts mehr erinnerte. Die Fassaden wurden frisch gestrichen, die Gerüste wieder entfernt. Die Straßenbahn fuhr. Ein Schuhgeschäft, die große Drogerie, ein Blumenladen, dann noch etwas, vielleicht eine Trafik, und dahinter ein Geschäft mit Damenmode. Offenbar störte niemanden, dass die fehlten. Ohne längeres Nachdenken hätte ich gar nicht mehr sagen können, was das eigentlich für Geschäfte gewesen waren. Wen interessierte es schon, dass jetzt hinter den Bretterverschlägen nichts war. Das Leben war sowieso nicht rauschend. Es blieben nur wenige Dinge, die noch eine Bedeutung hatten. Und wenn man sich überhaupt noch an etwas erinnerte, war man eher überrascht, was man alles schon mitgemacht hatte.
    Solche flüchtigen Gefühle machten mir zuweilen meine eigenen Schritte unglaubhaft. Es war unwirklich,

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