Parallelgeschichten
auf der gegenüberliegenden Seite der Ringstraße beschossen, die dort hatten mehr Pech, das war unser Glück. Unser Haus musste nur den Wellen des Luftdrucks standhalten. Wer das überlebt, wird nicht einfach daherreden, wird wissen, dass nie etwas so geschieht, wie man es sich vorgestellt hat.
Weder damals noch später erkundigte ich mich in der Umgebung, was in jener Nacht mit denen auf der anderen Seite der Ringstraße geschehen war.
Überlebende sind mit sich selbst beschäftigt, auch mich interessierte das Leben der anderen nicht.
In diesen frühen Nachmittagsstunden wurde es im neuen Kaffeehaus immer voller, ich wusste nur zu gut, dass sich keine günstige Gelegenheit mehr ergeben würde. Die Frau machte nicht nur den Kaffee, sie wusch auch ab und bediente.
Eine Woche arbeitete sie vormittags, die andere nachmittags.
Als der Anwalt endlich abgezogen war, konnte ich nur noch stottern, dass ich nach Geschäftsschluss auf sie warten würde.
Nicht hier, sagte sie rasch und leise, als müsste sie sich wütend gegen mich verteidigen.
Zum Glück sagte sie nicht, ich solle nicht auf sie warten.
Die ganze Zeit über hatte ich nur den einzigen Gedanken, dass ich noch nie eine solche Schönheit gesehen hatte und auch nie wieder sehen würde, wenn ich mich auch nur einen Augenblick von ihr abwandte. Ihre Augen, die Farbe ihrer Augen oder ihr Blick, oder ich weiß nicht was, irgendetwas an ihr lähmte mich. Wahrscheinlich trug ihr Parfüm das Seine dazu bei, das ich leider immer nur am Rand erwischte, denn sie trug es mit sich fort, auch wenn sie es manchmal in dichteren Schwaden hinterließ. Ihre Augen waren nicht blau, nicht grün. Als sähe ich auf den Grund eines unbekannten Wassers. Ich verstand auch nicht, woher diese aufgebrachte Dunkelheit kam, die Farbe des Wassers blitzte mir entgegen. Kein Mensch kann Augen von solcher Farbe haben. Es gibt auch kein Wasser von solcher Farbe, kein Material. Ich konnte sie nicht einmal fragen, wo dann, wenn nicht hier, weil ihre Kollegin, eine ältere Frau, mit der sie arbeitete, besorgt herschaute, während sie für ein unersättliches Kind Drops, Dragees und schließlich auch noch Gelees abwog.
Es war nicht leicht, unsere vorsichtigen Blicke vor ihr geheim zu halten.
Sie passte auf wie jemand, der unbedingt wissen muss, was um ihn herum geschieht, und besonders, was zwischen uns geschah.
Sie trug eine Brille mit so dicken Gläsern, dass man ihrem Blick nicht recht folgen konnte. Man sagte sich, na, jetzt guckt sie bestimmt nicht, aber doch, sie guckte. Auch sonst war es unmöglich, auch nur einen Moment zu tun, als gäbe es keinen Augenzeugen. Sie hatte sehr rasch herausbekommen, warum ich hier verkehrte und was mich nicht losließ. Was an sich nichts Besonderes war, es gab ja auch andere, die nur herkamen, um die Schönheit der Frau zu bewundern. Zwei oder drei hingen immer bei der Kaffeemaschine herum, grinsend, schwatzend, und nicht nur Männer, oft auch Frauen in ihrem Alter. Die ältere Frau beobachtete auch die, alle. Manchmal hatte ich das Gefühl, sie wisse alles, schon bevor ich es wusste. Oder eher, als wüsste sie besser als ich, wie ernst die Sache war, während ich mir noch überheblich einredete, es würde höchstens ein kleines Abenteuer werden.
Denn ich dachte nicht, dass ich für sie etwas empfand. Oder ich dachte, bestimmt würden es andere auch so anfangen. Zuerst empfinden sie nichts, sie beobachten, sehen sich vorsichtig an, was ja schließlich nicht verboten ist. Die Brillenfrau hingegen war sogleich neugierig, was daraus würde. Vielleicht war es mehr als nur reine Neugier. Sie wollte sehen, ob sie einschreiten musste. Sie war im Geschäft die Chefin, was aber nur eine untergeordnete Rolle spielte. Wichtiger waren wohl der Altersunterschied, ihre Betagtheit oder ihre Hässlichkeit.
Vielleicht wollte sie diese schöne junge Frau vor verrückten Nachstellungen schützen.
Was aber nicht ihrer distanzierten Beziehung entsprach. Sie gingen zwar eher freundschaftlich als feindselig miteinander um, redeten aber so gedämpft miteinander, als müssten sie Spannungen vorbeugen. Irgendwie lagen die in der Luft. Liebe Clarissa, sagte sie zur jungen Frau, oder Klärchen, Liebes. Terilein, Liebe, antwortete die andere.
Die Spannung zwischen ihnen war vielleicht nicht weniger leidenschaftlich als die heimliche Aufmerksamkeit, die sie uns beiden widmete. Die Chefin fürchtete wohl, die junge Frau könnte ihr einen Augenblick entgleiten, und das war
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