Parallelgeschichten
mich doch sehen willst. Als fragte sie, warum spielst du dieses Spiel. Und alle Qualen begannen von vorn, denn ihr Blick umwölkte sich. Nichts war sicher. Weder, dass ihr Blick tatsächlich das fragte oder behauptete, noch, dass sie ihre wahnsinnig machende Zurückhaltung nur für mich übte. Während ihr Blick natürlich wegen allem und jedem aufglänzte. Sicher war hingegen, dass sie noch schöner war, als ich mir das in jenen endlosen Stunden vorstellte, in denen ich ihre Schönheit vergessen wollte und zwanghaft so tat, als würde ich nicht an sie denken.
So begann unsere Geschichte.
Ich dachte nicht, dass sie schon begonnen hätte, ich phantasierte nicht damit, wie es wäre, wenn ich sie berührte. Eher, wie es wäre, wenn ich sie vergäße. Wenn ich sie mir aus dem Kopf schlagen könnte. Wie es wäre, wenn ich nie mehr hinginge, wenn ich sie ihrem Schicksal überließe, wenn ich mich überzeugen könnte, dass ich solche Abenteuer nicht brauche, nicht brauchen kann. Nach anderen Abenteuern sollte ich Ausschau halten. Als gäbe es noch ein Ich, von dem ich das andere abspalten könnte, mein Angezogensein, mein unstillbares Interesse für sie.
Man kann nicht sagen, dass ich mir keine Mühe gab.
Ich dachte, es sei ein Art sexuelles Bedürfnis, das man auch loswerden kann. Aber ich konnte es nicht befriedigen, denn ich sehnte mich nach nichts und niemand, beziehungsweise ich konnte im Zusammenhang mit ihr meine gewohnten Phantasien nicht in Schwung bringen.
Niemand anderer interessierte mich, doch das durfte ich nicht zugeben.
Ich machte große Anstrengungen, mich auch noch für andere zu interessieren, so wie sie mich vor ihr immerhin bis zu einem gewissen Grad interessiert hatten, aber sobald ich mit jemandem ins Gespräch kam, war es gleich vorbei. Das war ihretwegen so, aber ich verstand nicht, wie ein solches kleines Versprechen so gewichtig hatte werden können. Früher hatten mich Anziehungen nicht behindert, was sie ja auch nicht tun sollen. Jetzt hingegen war es, als würde ich an meinem heikelsten Punkt verletzt. Ich war stark versucht zu sagen, nein, nein, besser auf jemand anderen warten. Lieber der drohenden Erfahrung ausweichen, sie vermeiden. Aber wie hätte ich dann mit diesem Drängen umgehen sollen.
Mit der Drohung, dass ich ohne diese Erfahrung auf ewig allein bleiben und an der Verletzung zugrunde gehen würde.
Nichts geschieht, wie ich es mir vorstelle, klar, auch das wusste ich. Und als müsste ich mich gerade von der fatalen Überzeugung losreißen, in eine Welt hineingeboren zu sein, in der nie geschehen konnte, was ich gern gehabt hätte, wirklich ich, und sonst niemand. In eine Welt, in der man von jeder Absicht weggestrudelt, von jeder Handlung abgetrieben wird. Als müsste ich mit dem Kopf eine Wand einrennen, die ich selbst jeden Tag verstärkte.
Natürlich dachte ich das alles nicht, es war kein Gedanke, kein Denken, sondern lag in der Luft, wie eine Art Zeitgeist. Die Hoffnung war nicht verschwunden, befand sich aber anderswo, und es ließ sich nicht sagen wo. Anderswo. In den Köpfen machte sich Hilflosigkeit breit, die ich schonungslos als meine eigene erkannte. Ein Geburtsfehler, oder weil mich meine Mutter verlassen hat. Andere sind der Liebe würdig und finden sich auch, oder sie sind von vornherein zur Liebe bereit, und mir fehlt das. Ich stand einfach da, mit meinem Glas in der Hand. Sie wollte danach greifen, aber ich reichte es ihr nicht. Es fehlten noch fünf Wörter. Wo darf ich Sie erwarten.
Ohne eine Antwort hätte ich das Lokal nicht verlassen können.
Sie wollte nichts hören. Wartete, widerstand, mit erhobenen Händen, um mir das Glas abzunehmen, aber auch um mir zu verbieten, dass ich meine Frage herausstotterte.
Die anderen Gäste tranken ihren Kaffee und ließen dann ihre Gläser überall herumstehen. Ich hingegen brachte es immer brav zurück und stellte es auf den Tresen, weil sie es sonst hätte holen müssen. Manchmal kam sie dahinter hervor, stellte die Gläser ineinander, stapelte die Teller aufeinander. Vielleicht hatte sie meine Zuvorkommenheit schon beim zweiten Mal verstanden und war ebenso zuvorkommend; sie nahm mir das Glas aus der Hand, wir nickten beide kurz. Manchmal sagte sie, ach, sehr lieb, wirklich lieb von Ihnen. Ich verstand nicht, warum sie so witzeln musste.
Am nächsten Tag wollte ich das Glas aus Rache nicht zurückbringen, aber ihre Stimme hielt mich an.
Gestern haben Sie es mir zurückgebracht, warum jetzt nicht.
Vielleicht
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