Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
Vom Netzwerk:
vielleicht doch eine Art Eifersucht. Die vielleicht einmal ausbrechen würde, was mir das Gefühl gab, ich sollte mich doch besser von ihnen fernhalten.
    Es war eine instinktive Handlung, dass ich dem Tresen den Rücken zuwandte und sie im Spiegel weiter beobachtete. Damit der Ausbruch nicht meinetwegen geschah. Natürlich zeigte der Spiegel auch ihr die Richtung unserer Blicke, aber er schützte mich doch. Vor der Selbstbezichtigung, dass ich aufdringlich war, und vor der Schande, so durchgedreht zu sein. Selbstverständlich war es noch aufdringlicher, als wenn ich mich ihr zugewandt hätte, noch durchgedrehter.
    Während ich im Spiegel ihrem Blick nachspähte, sah ich ihren Rücken, ihre Schultern, ihren nackten Hals, ihr zu einem losen Knoten hochgestecktes Haar. Das war schon mehr, als ich begehrte. Sämtliche Wände in dem neuen Lokal waren mit Spiegeln bedeckt, was als hochluxuriös galt, man sah alles von mehreren Seiten zugleich, aus einem bestimmten Winkel sah man jeden einzelnen Gegenstand vervielfacht.
    Unser Leben holperte sonst eher bescheiden dahin, die vielen Spiegel verwirrten nicht nur mich.
    Kaum eingetreten stand man in den süßen Düften sogleich sich selbst gegenüber. Und wenn man sich von sich abwenden wollte, sah man in einem anderen Spiegel, wie man sich auf der geschliffenen Oberfläche in mehreren Exemplaren von sich abwandte, oder wie die Frauen hinter dem Tresen vervielfacht auf die Wünsche des Kunden warteten. Sogar die Decke war von einem Spiegelstreifen eingefasst.
    Natürlich gab es solche, die sich sofort genüsslich betrachteten oder sich spreizten, ohne es sich einzugestehen. Sogar hinter den mit Waren vollgestellten schmalen Regalen bedeckten Spiegel die Wand, ebenso über dem Spülbecken; die Klara genannte Frau, von der Chefin zuweilen spöttisch Clarissa gerufen, spritzte ihn voll, wischte ihn dann sorgfältig ab. Vielleicht um mich zu sehen. Denn manchmal tat sie, als müsse sie rasch ein paar Gläser spülen und wandte mir den Rücken zu, so wie ich auch, und trotzdem beobachteten wir uns, wir mussten nur ein wenig den Kopf heben.
    Die Chefin bemerkte die kleinste Regelwidrigkeit.
    Dauernd beklagte sie sich über den Durchzug. Im Lokal war es zu warm, aber die neue Eingangstür ließ tatsächlich Luft herein.
    Fröstelig hockte sie hinter der Kasse in der Nähe der Tür, mit dem Bleistift langen Zahlensäulen folgend, und wenn sie die Augen hinter der Brille nur unmerklich hob, konnte sie im Spiegel vis-à-vis sehen, was wir mit den Blicken trieben. Wegen der vielen Spiegel war man ausgeliefert, und doch konnte man sagen, das bin nicht ich, das ist die Spiegelung. Es ist ja doch etwas anderes, jemandem durch ein Glas in die Augen zu sehen. Ruhe vor der Chefin hatten wir nur, wenn ihr Mann kam, oder um die Mittagszeit ihr krankhaft übergewichtiger Sohn, der die nahegelegene Musikakademie besuchte und angeblich so wunderbar Geige spielte wie Jascha Heifetz.
    Auch dann blickte ich im Spiegel vorsichtig zu ihr hin, und nicht nur, weil ich dauernd gespannt darauf achtete, ob wir in Sicherheit waren.
    So verging der Januar, ebenso der Februar, und noch immer wusste ich nichts von ihr, dieser Clarissa. Ich konnte auch nicht glauben, dass sich eine so schöne junge Frau für mich interessierte. Denn auch sie tat nichts anderes als mich beobachten. Schon das war ein Ereignis, denn ich konnte an mir nichts entdecken, womit ich das verdient hätte. Auch mit ihrem Vornamen oder Spitznamen konnte ich nichts anfangen, ich wollte ihn meinem Bewusstsein nicht einprägen. Dafür schämte ich mich ein wenig, aber es war ein Selbstschutz. Um gar nicht auf den Gedanken zu kommen, ich könnte, aufgrund irgendeines glücklichen Zufalls, ihr nahekommen und sie dann bei ihrem Namen rufen oder etwas geschraubt ebenfalls Clarissa nennen. Es war ganz dumm, aber ich musste sie von mir fernhalten.
    Damit es ein kleiner Roman blieb, den niemand schrieb und auch nie schreiben würde.
    Ich wusste nicht, was Schönheit ist, oder was man davon zu halten hat.
    Die Augen sehen etwas, weil sie nicht anders können, und dieses Etwas kann man nicht mit einem gewöhnlichen Vornamen benennen. Was zu ihrem gewöhnlichen Leben gehörte, interessierte mich nicht. Ich verstand nicht, wie eine so wunderschöne Frau hatte hierher geraten können, auch wenn ich nicht hätte sagen können, wo sie sonst sein sollte. Die Frage stellte sich trotzdem, denn mich interessierte alles an ihr. Oder warum sie sich den anderen

Weitere Kostenlose Bücher