Parallelgeschichten
mindestens zu zwanzig und warteten das Ergebnis ab, in solchen Momenten hörte man nicht einmal das Atmen des Nachbarn, oder man achtete nicht darauf. Als sie die Schienen endlich überquert hatte, war sie nicht mehr im Lampenlicht, man sah nur noch, dass sie zu laufen begann.
Wenn sie schon so weit gekommen war, sollte sie es wirklich schaffen.
Es waren Tage, an denen man nachvollziehen konnte, wer was warum tat. Sie lief um ihr Leben. Wir sahen sie erst wieder, als sie bei der Hauswand angelangt war.
Und sogar auch bei Glázner sah ich sie. Da war es schon hell. Sie musste seit längerem da sein, sie stand schon in der Schlange. Beim Anblick dieser Schlange dachte ich, es wäre wohl gescheiter aufzugeben, aber wo bekam ich dann Brot.
Man sah eine Menschenschlange und begann gleich zu rechnen. Die hier war so lang, das keine Arithmetik nützte. Ich trödelte herum, weil ich sicher sein wollte, dass sie wirklich so lang war, und ich musste bis zur Katona-József-Straße vorgehen, während sich unterdessen natürlich viele anstellten. Aber auch andere kamen zu spät, auch sie trauten ihren Augen nicht, auch sie gingen vor oder überlegten sich aus der Distanz, was sie jetzt machen sollten. Wozu war man dann am Leben geblieben. Das wurde nachträglich sinnlos, als wäre das ganze Überleben unnötig.
Je länger man überlegte, um so schlechter wurden die Chancen, inzwischen hatten andere den Platz besetzt, der einem der Reihenfolge nach zugestanden hätte.
Das Ende dieser Schlange franste von der Fürst-Sándor-Straße auf den Leopoldring aus. Da hätte ich mich anstellen müssen. Aber die Schlange wand sich um den ganzen mächtigen Häuserblock und kurvte durch die Sallai-Imre-Straße wieder zurück, um den an der Ringstraße befindlichen Eingang der Bäckerei zu erreichen. Und sie stand still, bewegte sich nicht. Es gab kein Brot. Man wusste nicht, wann wieder ein frischer Schub fertig sein würde. Es gab Leute, die kleine Stühle oder Schemel mitgebracht hatten. Andere standen bloß da, stellten sich von einem frierenden Fuß auf den andern, lehnten höchstens den Rücken gegen die Hauswand. Für Zweifel war einfach kein Platz. Während ich wegging, überlegte ich sogar, wie es wäre, wenn ich bis zur Petneházy-Straße hinausmarschierte, zur Brotfabrik.
Aber nicht wegen irgendwelcher übler Vorahnungen.
Hier war wenigstens Ruhe, und vielleicht war das der Grund, warum ich mich nicht selbständig machte. Mit etlicher Verspätung nahm ich meinen Platz ein, auf dem Gehsteigrand. Wer nach mir kam, konnte sich nur noch auf die Fahrbahn der Ringstraße stellen. Ein kleines Stückchen schlurften wir immer wieder voran, aber nicht etwa, weil man im Laden angefangen hätte, Brot auszugeben, sondern weil die stille Ungeduld die Reihe verdichtete.
Es war ungefähr eine halbe Stunde vergangen, als sich im Laden endlich etwas rührte, und demzufolge auch hier draußen. Zuerst bloß eine Unruhe, leises Gemurre, die Reihe staute sich. Alle wollten sich aufmachen, aber wohin. Wohin soll ich denn gehen, gute Frau.
In solchen Momenten sagt jeder etwas.
Jetzt drängeln Sie bitte nicht, seien Sie doch so gut.
Na schön, bitte, wenn Sie ja schon alles besser wissen.
Dann das hilflose Schlurfen der Füße, das Summen der zum Platzen gespannten Gereiztheit, die ersten vereinzelten Schreie.
Wer zu schreien beginnt, wird von den anderen zu Recht verachtet.
Um mich durch die Ladentür zu zwängen, hätte ich denen, die mit ihrem Brot glücklich den Laden verließen, den Weg frei geben müssen.
In Unkenntnis der Psychologie des Schlangestehens würde man denken, nichts sei natürlicher, als den Weg frei zu geben, im eigenen unmittelbaren Interesse. Wenn man nicht hinauskann, kann man ja auch nicht hinein. Nur ist man dauernd einem Druck ausgesetzt, in der Menge kann man beim besten Willen nicht einfach rational verfahren. Vernunft, Gerechtigkeitssinn und der Druck der Menge müssten sich die Waage halten, aber niemand mehr hat das alles im Griff. Das Zerbrechlichste ist die Vernunft, denn wer weiter weg steht, weiß zwar nicht, was an der Spitze der Reihe geschieht, aber er will vorwärtskommen, so befiehlt es sein Instinkt. Und wenn er das tut, seien es auch nur ein paar Zentimeter oder Millimeter, entsteht in der Reihe unweigerlich eine Spannung. Instinktiv oder aus Berechnung, jedenfalls schlurft er ein wenig vor, wenn nicht, tut es ein anderer, oder die anderen fordern ihn gereizt dazu auf, und da wird der
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