Parallelgeschichten
ein, jetzt vibrierte schon der ganze Brückenunterbau. Man spürte die Brücke unter den Sohlen. Ich lebe in einer Stadt, meine Stadt wird von einem Fluss zweigeteilt, die vertraute Brücke ist jetzt ein Gefühl. Das Zittern der Brücke übertrug sich auf den Brückenkopf, die umliegenden Häuserblocks stimmten ins Zittern ein, und ich spürte es auch an meinem Rücken. So war dieses Zittern, dass man auf nichts anderes achtete, höchstens auf den eigenen Körper.
An Gefahr dachte ich nicht. Und es klang nicht so, als sei alles verloren.
Solche bedeutenderen Manöver kamen vor, die Russen verschoben Einheiten, was die Zivilisten nicht groß kümmerte.
In jenen Tagen war es nicht einmal unvorstellbar, dass sie endgültig abzogen. Zumindest aus der Stadt, vielleicht sogar aus dem Land.
Von meinem Standort aus sah man diese kleine Seitenstraße entlang. Gerade so weit, um vor dem Schaufenster des Espresso Szamovár stehend einen Panzer nach dem andern auftauchen zu sehen. Hinter dem sonnenbeschienenen Schaufenster hing eine große Fotografie. Von Hedda Hiller, der alternden schönen Diseuse, die ein paar Tage zuvor hier aufgetreten war. Auch jetzt war das Espresso geöffnet und voller Menschen. Gesichter klebten an der Scheibe, man beobachtete die Durchfahrt. Vor dem Espresso standen ebenfalls Leute, auch sie beobachteten vom besonnten Gehsteig aus die Panzer. Und da geschah etwas, das ich noch jetzt kaum glauben kann. In einer Art träger, aber doch bestimmter Absicht bog einer der Panzer in diese Seitenstraße ein, schrammte mit der Kette den Gehsteig, Funken sprühten auf, die auf dem Gehsteig stehenden Menschen liefen auseinander. Einige flüchteten sich ins Espresso hinein, andere unter den nächsten Tordurchgang. Die Straße war im Handumdrehen leer. Da waren nur noch der feststeckende Benzindunst und das in starken Bündeln von den Dächern fließende Sonnenlicht. Wir in der Schlange rührten uns nicht. Der Panzer rollte mit hochgefahrener Kanone auf uns zu.
Einen Augenblick dachte ich noch, er wolle bloß die Durchfahrt der Kolonne sichern, alles in Ordnung. Er kam bis zur Hälfte des Sträßchens, hielt an, stellte aber den Motor nicht ab.
Nichts geschah.
Dann dachte ich, vielleicht hat er einen Schaden und musste deshalb aus der Kolonne ausscheren. Aber ich fühlte, dass da etwas nicht stimmte. Im nächsten Augenblick begann sich das Kanonenrohr langsam zu senken. Auch die anderen rührten sich nicht. Er schien die gegenüber befindliche Hauswand oder das breite Vordach über dem Kino Duna ins Visier zu nehmen. Dort war doch gar nichts. Es geschah so schnell, dass mein Denken nur hinterherhinken konnte. Meine Augen sahen es. Trotzdem nahm ich nicht zur Kenntnis, dass die aus dem Rohr herauszischende Flamme und der Rückstoß auf Turm und Panzerkörper einen Schuss bedeuten könnten. Dann noch einer.
Zwei stumme Bilder.
Aber dazwischen eine entsetzliche Detonation. Der zweite Schuss traf nur noch in Zusammenkrachen, Einstürzen, Staubwolken hinein, danach die neuerliche Detonation.
Es reißt alles auf.
Sie konnten es nicht vergessen
Ein paar Tage später stand Madzar allein an Deck des ältesten Donaudampfers, der Carolina, und fühlte sich in der Frühlingsdämmerung sehr einsam.
In der Tiefe unter seinen Füßen arbeiteten in regelmäßigem Rhythmus die Kolben.
Das aus den Hohlräumen des Schiffs gedämpft heraufdringende Stampfen wurde von der riesigen Masse des Wassers aufgefangen, eingedämmt.
Das dumpfe Vibrieren, das stampfende Saugen und Stoßen der Kolben, das metallische Zittern der Schiffsverschalung, der laue Wind, in welchem der Duft des Blühens vom Ufer und der schwere kalte Fischgeruch des morastigen Wassers lagen, das alles durchlief leicht zeitverschoben seinen Körper.
Wenn er dieses regelmäßig zwischen Wien und Belgrad verkehrende Schiff bestieg, fühlte er sich in die Kindheit zurückversetzt. Damals hatte es schon zu seinen Lieblingsphantasien gehört, in den wie ein Tierkörper atmenden und in jedem seiner Teilchen vom Sein durchströmten Kosmos einzudringen. Um die vertrauten Lebewesen im Einzelnen zu sehen, ihr Funktionieren, alle die inneren Organe, alle die Sterne, die Schneekristalle, die Blutbahnen, die Fülle von Einzelheiten an Brücken und Kathedralen, wie sie ineinander verzahnt sind.
Der Fluss führte starkes Hochwasser.
Seine Versuche hatten natürlich weder damals noch später zu befriedigenden Ergebnissen geführt, es wäre ja auch merkwürdig gewesen,
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